Wiesbaden / Mainz | analogo.de – Nach den neuesten Höchstwerten des giftigen Gases Stickstoffdioxid (NO2) in der Atemluft von Mainz und Wiesbaden richtet sich die Aufmerksamkeit auf den politischen Spagat zwischen einem Dieselfahrverbot in deutsche Städte aufgrund der Blauen Plakette und einem WEITER SO. Nach einer Befragung der Stadtverwaltungen von Mainz und Wiesbaden und des Umweltministeriums von Rheinland-Pfalz stellen wir hier deren Antworten und Pläne vor. Wiesbadens Bürgermeister Goßmann (SPD) bedauert die Entscheidung der Bundesregierung die Blaue Plakette nicht einzuführen. Ein Bericht von analogo.de über den politischen Spagat um die richtigen Maßnahmen im Kampf gegen NO2. Der analogo.de LONG READ.
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Weil die beiden Stadtverwaltungen und Landesministerien seit über 20 Jahren die Schadstoffkonzentrationen von NO2 regulativ nicht auf ein erlaubtes und verträgliches Maß senken konnten, arbeitet die EU-Kommission derzeit an der Ausarbeitung von sanktionierenden Strafzahlungen. Das Verwaltungsgericht Wiesbaden urteilte vor genau vier Jahren, die Stadt Wiesbaden und das Land Hessen habe unverzügliche Maßnahmen zur effektiven Verbesserung der Atemluft einzuleiten. Denn akute und langfristige Gesundheitsbelastungen sind die Folge der hohen Gaskonzentrationen. Kurzfristig leiden Betroffene an Kopfschmerzen, Schwindelgefühlen und einer Reizung der Atmungsorgane. Rund 11.000 Menschen sterben laut der Europäischen Umweltagentur EEA in Deutschland pro Jahr einen vorzeitigen Tod, weil die Stickoxidkonzentrationen zu hoch sind. Und das Photooxidans NO2 produziert nebenbei ein anderes giftiges Gas, welches den Giftcocktail zusätzlich anreichert und Augenschäden verantwortet: Ozon am Boden.
Was zu welchem Zeitpunkt von wem getan werden muss, offenbart ein gesellschaftliches Dilemma. Oder besser ein Drama. Fangen wir mit der Bundesebene an. 65% aller NO2-Emissionen sollen aus Dieselmotoren stammen. Nach einer Idee von Bundesumweltministerin Hendricks (SPD) sollte eine Blaue Plakette eingeführt werden, die nur den modernsten Dieselautos die Einfahrt in die Innenstädte erlaubt. Letzte Woche stampfte ihr höherwertiger Ministerkollege im Bundesverkehrsministerium Dobrindt (CSU) die Idee der Blauen Plakette auf unbestimmte Zeit ein.
Blaue Plakette als Rechtsgrundlage
Wiesbadens Bürgermeister Goßmann äußerte letzte Woche gegenüber analogo.de in einem Telefonat, damit fehle der Stadt Wiesbaden die benötigte Rechtsgrundlage um ein Einfahrverbot in die Innenstadt zu erlassen. Der Berliner Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter kommentierte ebenfalls letzte Woche gegenüber der Berliner Morgenpost, Verkehrsminister Dobrindt grätsche schon wieder beim Umweltschutz rein und Umweltministerin Hendricks knicke ein. Hofreiter: „Wieder einmal zeigt sich Herr Dobrindt als verlängerter Arm der Diesellobby. Das ist angesichts der gesundheitlichen Schäden und vorzeitigen Todesfälle fahrlässig und industriepolitisch zukunftsvergessen.“
Weil Wiesbaden und Mainz in einem Autobahn-reichen Gebiet liegen, befragten wir das Umweltbundesamt und erhielten die folgenden Zahlen für die Entwicklung von NO2-Mengen auf deutschen Autobahnen:
Jahr | NO2-Emissionen in Tonnen pro Jahr |
2000 | 28.061 |
2002 | 32.116 |
2004 | 36.709 |
2006 | 37.331 |
2008 | 38.341 |
2010 | 37.773 |
2012 | 38.784 |
2013 | 39.452 |
Wenn trotz Steigerung der NO2-Mengen auf Bundesebene keine regulative Hilfe naht, betrachten wir die Länderebene. Die Umweltminister aller Bundesländer appellierten nach ihrer Umweltministerkonferenz (UMK) im November 2015 an die Bundesregierung, als Konsequenz aus dem VW-Abgasskandal und dem EU-Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland alle Möglichkeiten zur Reduktion des Stickoxidausstoßes im Straßenverkehr auszuschöpfen. Dieser Appell verpuffte letzte Woche – wie unter Druck stehendes Gas – mit einem lauten Knall.
Aktueller Stand der Klagen vor Gericht
Maßnahmen zur Reinhaltung der Luft werden auf Ebene der Bundesländer in Luftreinhalteplänen formuliert und haben politische Bedeutung. Denn in ihnen manifestiert sich der langfristige Wille von Regierungen, wie man die Luft rein halten will. Zum 30. November 2011 klagte die Deutsche Umwelthilfe (DUH) vor dem Verwaltungsgericht Mainz gegen das Land Rheinland-Pfalz wegen Überschreitung der Grenzwerte der 39. BImSchV. Da die Stadt Mainz erklärte bis Herbst 2012 die Fortschreibung des Luftreinhalteplanes zu erarbeiten und entsprechende Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung der Grenzwerte für NO2 darin aufzunehmen, ruht das Verfahren seitdem.
In Wiesbaden reichte die Deutsche Umwelthilfe (DUH) gemeinsam mit einer betroffenen Anwohnerin am 11. Juli 2011 beim Verwaltungsgericht Wiesbaden ebenfalls Klage gegen das Land Hessen wegen Überschreitung der Grenzwerte gemäß der 39. BImSchV ein. Am 10. Oktober 2011 verpflichtete das Gericht das Land Hessen den Luftreinhalteplan Wiesbaden auf eine Weise zu ändern, dass dieser die erforderlichen kurzfristig wirksamen Maßnahmen zur Einhaltung der Immissionsgrenzwerte enthält. Der für den Ballungsraum Rhein-Main formulierte Luftreinhalteplan für die Stadt Wiesbaden trat am 17. Dezember 2012 in Kraft.
In Hessen flogen in der Zwischenzeit mehr Fetzen, auch wenn die Stadt Mainz weitaus höhere NO2-Spitzenwerte zu verzeichnen hat als ihre Nachbarstadt Wiesbaden. Weil das Land Hessen seinen Verpflichtungen insgesamt nicht nachkam, stellte die DUH am 17. November 2015 beim zuständigen Verwaltungsgericht einen weiteren Antrag auf Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 10.000 €. Denn Hessen, so die Meinung der DUH, hätte für Wiesbaden keinen effektiven Luftreinhalteplan erstellt, der die Grenzwerte von NO2 und anderen Parametern wie Feinstaub kurzfristig sicherstellen könne. Das Land Hessen legte Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtes ein und bekam am 11. Mai 2016 Recht. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof würdigte die Einführung einer Umweltzone zum 01. Februar 2013, die Wiesbaden zusammen mit der Stadt Mainz einführte.
Nachdem somit zum 11. Mai 2016 alle Vollstreckungsverfahren einstweilen gescheitert waren, arbeitet die DUH derzeit zusammen mit dem ökologischen Verkehrsclub Deutschland (VCD) an einem neuen Verwaltungsverfahren gegen die nicht hinnehmbare Situation hoher Schadstoffwerte. Denn trotz Umweltzone liegen die beiden Städte immer noch über den Grenzwerten und die Gesundheit der Bevölkerung wird dauerhaft beeinträchtigt. Die Argumentation im Verwaltungsverfahren wird unter anderem lauten, es gebe noch bessere Maßnahmen als die bislang umgesetzten wie zum Beispiel die Einführung eines Bürgertickets, eine City-Maut oder ein Durchfahrtsverbot für gewisse Dieselfahrzeuge.
LKW-Durchfahrverbot für Wiesbaden wird kommen
Seit gut zwei Jahren wird dieses Durchfahrtsverbot nun in Wiesbaden diskutiert. Gemäß dem Gutachten des Ingenieurbüros Lohmeyer zur Wirkungsabschätzung eines LKW-Durchfahrverbotes durch Wiesbaden aus dem Jahre 2014 verringern sich die NO2-Belastungen an dem Hotspot Ringkirche lediglich um 1% und an den Hotspots Kaiser-Friedrich-Ring, Schiersteiner Straße und Aarstraße um ganze 1 bis 2%. Lohmeyer fasst zusammen, dass „die durch ein LKW-Verbot angestrebten Verringerungen nicht ausreichen, um die hohen Schadstoffbelastungen soweit zu senken, dass der Grenzwert für NO2 eingehalten wird“. Derzeit wird der seit 2010 gültige Grenzwert von 40 Mikrogramm (µg) pro Kubikmeter (m³) Luft an städtischen Hotspots im Jahresmittel um rund 40% (Mainz) und 31% (Wiesbaden) überschritten.
Nicht selten wird in Mainz auch der höherschwellige Grenzwert namens „1-Stundenmittelwert“ von 200 µg pro m³ überschritten. Am Wochenende des 07. August zeichnete eine von Menschen stark frequentierte Messstelle 248 µg auf. Was soll also ein Dieselverbot bringen, welches die Grenzwertüberschreitung von 31% auf 29% senkt? Lese mehr zur Grenzwertdiskussion um NO2 in unserem Beitrag Sommersmog in Mainz und Wiesbaden – Die Grenzwertdiskussion um NO2.
An Maßnahmen kommen Land und Städte nicht vorbei. Wiesbadens Bürgermeister Goßmann teilte analogo.de mit, man plane in Wiesbaden konkret mit dem Ausbau des ÖPNV, dem Anwohner-Parken, mit einer Optimierung des Verkehrsflusses und mit mehr Fern- und Nahwärme. Bezüglich des Verkehrsflusses fordert die Umweltschutzorganisation BUND gar eine „Verstetigung des Verkehrs durch Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen“. Goßmann sagte weiter, dass man als Stadt Wiesbaden froh sei im Rahmen der zweiten Fortschreibung des hessischen Luftreinhalteplans für Wiesbaden nun ein LKW-Durchfahrtverbot erreicht zu haben. Das Durchfahrtverbot hatte zur Voraussetzung, dass das Land Hessen das Verbot in den Maßnahmenkatalog des Luftreinhalteplans aufnimmt.
PKW-Einfahrtsverbot = Blaue Plakette
Nun kommt das LKW-Durchfahrtverbot also doch. Wenn das LKW-Durchfahrtsverbot für den Durchgangsschwerverkehr der Stadt Wiesbaden maximal 2% Reduktion einbringen wird, bleibt eine zu reduzierende Belastung der restlichen 129% NO2-Gas: 100% entspricht dem eigentlich zu hohen Grenzwert von 40 Mikrogramm pro m³ und 29% dem Differenzwert zur Überschreitung des Grenzwertes.
Mitten im Telefonat mit unserer Redaktion dann die Überraschung: Goßmann äußert sein Bedauern, dass die Blaue Plakette letzte Woche von der Bundesregierung eingestampft wurde. Mir ihr hätte Wiesbaden ältere Dieselmodelle aus der Stadt verbannen können, aber gleichzeitig die einkommensschwächeren Bewohner benachteiligen müssen. Denn nur wenige Bewohner können sich kurzfristig ein neues Dieselauto leisten.
Vom Verkauf neuer Dieselautos profitierte ein Konzern ganz besonders: VW. Vor Bekanntwerden des VW-Abgas-Skandals sanken die NOx-Emissionen zwischen 1990 und 2013 deutschlandweit noch um 56% unter anderem aufgrund besserer Motortechnik, und die Anzahl der LKWs auf Deutschlands Straßen stieg gleichzeitig um ein Vielfaches. Firmen verlegten ihre Lagerhallen in die Laderäume von LKWs, die die Autobahnen verstopften. Mit der Öffnung der EU erhöhte sich vor allem die Zahl osteuropäischer LKWs auf Wiesbadens und Mainzer Straßen.
VW betrügt die Welt
Dann verschlimmerte nicht nur der weltgrößte Autobauer Volkswagen (VW) die Situation, indem die Wolfsburger systematisch betrogen: VW drosselte den Ausstoß schädlicher Abgase auf den Prüfständen mit einer ausgereiften Software. Weltweit wurden die Autos von Berlin bis Los Angeles mit dem vorgegaukelten Abgaswert zugelassen und erhöhten die echten NOx-Werte in den Städten auf ein abermals gesundheitsschädliches Maß. Im Normalbetrieb emittierten die Fahrzeuge höhere Werte als auf dem Prüfstand. Das Kraftfahrtbundesamt spielte mit und die Bewohner der Städte müssen den Betrug mit ihrer guten Gesundheit bezahlen.
Das gesellschaftliche Dilemma ist perfekt, denn die neue Dieseltechnik wurde alleine in Deutschland 13.000.000mal verkauft. Auch in Städten wie London regieren Dieselautos die Straßen mehr denn je und London verzeichnet trotz teurer Umweltzone die höchsten NO2-Werte in Europa.
Auch wenn jeder Person, die jemals hinter einem Dieselauspuff gestanden hat klar sein dürfte, dass die Emissionen höher und rußintensiver sind als diejenigen aus Benzinmotoren, stellt sich die Machbarkeitsfrage, welchen Teilen der Millionen von Dieselfahrzeugbesitzern man die Einfahrt in die Innenstädte untersagt. Denn angesichts der Giftbelastung steht Gesundheit vor persönlicher Freiheit. Das ist die eigentliche Dimension des VW-Abgas-Skandals. Und die Idee hinter der Blauen Plakette.
Strohhalm Mainzelbahn überzeugt nicht
Während die NOx-Belastungen in Wiesbaden und Mainz weiter tägliche Schäden anrichten und Bürgermeister Goßmann auf ein weiteres Gutachten vom Land Hessen wartet, gehen wir nach Mainz. Die Pressesprecherin des Umweltministeriums von Rheinland-Pfalz, Stefanie Lotz schrieb analogo.de, die Stadt Mainz setze im Rahmen ihrer lokalen Luftreinhalteplanung eine Reihe von Maßnahmen um. Zur Reduzierung der NO2-Belastung in der Parcusstraße seien folgende Maßnahmen vorgesehen: Weitere Verbesserung der Emissionsstandards der MVG-Busse, eine Entlastung des Bereiches Parcusstraße/Bahnhofstraße durch verkehrslenkende Maßnahmen (Verstetigung des Verkehrs) und die Inbetriebnahme der „Mainzelbahn“ (neuer Streckenast des Straßenbahnnetzes vom Hauptbahnhof zum Lerchenberg) zur besseren ÖPNV-Anbindung und damit eine Entlastung von Verkehrsknoten wie dem Innenstadtbereich und dem Hauptbahnhof.
Lotz erwähnt nicht – wie Goßmann zuvor – die Umweltzone. Villeicht weil nicht erst seit der Studie des Wissenschaftlers Benedikt Breitenbach klar ist, dass die NO2-Belastungen in Mainz und Wiesbaden trotz Einführung einer gemeinsamen Umweltzone nicht wesentlich zurückgegangen sind. Die Mainzer Allgemeine Zeitung schrieb bereits 2014, dass sich die Prognose zur Wirkung einer Umweltzone in Mainz aus dem Jahr 2010 als falsch herausstellte: Die Umweltzone führte eben nicht zur prognostizierten deutlichen NOx-Reduzierung um bis zu 6%. Seitdem das Argument „Umweltzone“ verpufft ist, greift in Mainz jeder Verantwortliche nur noch den Halm des Hundert-Millionen-Euro-Projekts Mainzelbahn.
Die Rolle der Dieselbusse
Genauere Angaben zur Entwicklung der riesigen Dieselflotte veralteter MVG-Busse erhielten wir aber nicht. Eine Studie aus England zeigt, dass im ÖPNV-starken London Dieselbusse mit rund 50% den weitaus stärksten Anteil an NO2-Emissionen haben. Der Wert könnte zu Mainz vergleichbar sein. Im Wiesbadener Stadtverkehr fahren dahingegen modernere Busse, und die NO2-Belastung ist insgesamt niedriger als in Mainz.
Während die Behörden auf allen Ebenen Luftreinhaltemaßnahmen besprechen und die Stickoxidbelastung dennoch nicht in den Griff bekommen, teilt uns der Pressesprecher der Stadt Mainz, Ralf Peterhanwahr mit, warum man trotz hoher NO2-Belastung ausgerechnet in den heißen Sommermonaten Baustellen einrichtet: In den Sommermonaten herrsche im kommunalen Umfeld aufgrund Urlaub, Schulferien und Semesterferien am wenigsten Verkehr, so dass insgesamt deutlich weniger Verkehrsteilnehmer von Baustellen betroffen seien als im Berufsalltag.
Zudem würden sich viele Baustellen in Mainz aktuell um die Schaffung der neue Straßenbahn Mainzelbahn ranken, mit der ja zukünftig mehr Menschen fahren würden, die heute noch in einem (Diesel-) Fahrzeug sitzen. Die Stadt Mainz richtet also Baustellen ausgerechnet in den heißesten Monaten des Jahres ein, in denen durch die höheren Temperaturen überproportional viele Stickoxidgase emittiert werden, auch wenn die Feinstaubbelastung gleichzeitig sinkt. Und führt die Mainzelbahn als Heilsbringer an, die in Zukunft nur wenige Prozent des gesamten Verkehrsaufkommens stemmen wird.
Weil die Stadt einen enormen Zuwachs an Einwohnern verzeichnet, dürfte fraglich sein, ob die Effekte der Mainzelbahn überhaupt zu spüren sein werden. Die Summe an Emissionen könnte am Ende dieselbe sein, weil schlichtweg mehr Menschen in der Stadt transportiert werden: Das Gesetz der positiven Rückkopplung.
Man möchte gemeinsam mit Oberbürgermeister Michael Ebling in drei Jahren nachschauen, ob die Stadt Mainz endlich unter die erlaubte Marke von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft für den NO2-Jahresmittelwert gelangt ist. Die Stadt würde die Statistik von 2014 schlagen, nach der 60% aller 500 verkehrsnahen Messstationen in Deutschland über 40 lagen.
Mit Zahlen belegt Peterhanwahr die Annahme von Oberbürgermeister Michael Ebling und seinem Dezernententeam jedenfalls nicht. Es sind Annahmen, die sich geradezu dahergesagt anhören. Konservativer aber realistischer mutet die Annahme von Dr. Michael Weißenmayer vom Referat 62 für Emissionen und Immissionen des Landesamtes für Umwelt an, der vor zwei Jahren in einem Beitrag der Allgemeinen Zeitung zur Umweltzone mahnte, selbst die [Red. leicht nach unten gehende] Entwicklung bei der Belastung durch Ruß und Feinstaub sei „sicher nicht ausschließlich auf die Einführung der Umweltzone zurückzuführen“. Umweltanalysen sind halt immer multivariate Analysen, die nicht mit einem Faktor beschrieben werden können.
analogo.de meint: Stickoxide entstehen aus der Verbrennung von Luftstickstoff und Kohlenwasserstoffen in Motoren und Maschinen. Zur Gruppe der Kohlenwasserstoffe gehört aber neben Diesel auch Kerosin, Benzin, Öl und Gas. Konkrete Maßnahmen für Industriebetriebe, Schiffe und Flugzeuge werden nicht ausreichend in Erwägung gezogen, obwohl deren Beiträge erheblich sind. Auch wenn DUH und VCD an der Blauen Plakette festhalten, hat es nach dem VW-Abgas-Skandal den Anschein, als ob die Politik abermals zu kurzsichtig ist. Die sich ähnelnden Maßnahmen der Stadtverwaltungen und Ministerien in Mainz und Wiesbaden können nicht überzeugen. Beim Spagat um die richtigen Sanktionen scheint unvermeidbar, dass sich die Beteiligten überdehnen. Die Gesundheit der Bewohner überdehnen die Verantwortlichen jedenfalls schon lange. Daher greifen die gängigen Konzepte zu kurz.
Augensichtlich wird diese Kurzsicht an der kleinkarierten Perspektive der Diskussion um das Gas NO2. Denn Stickstoffdioxid macht nach der Emission (bzw. Entstehung aus Stickstoffmonoxid NO) keinen Halt an den Stadtgrenzen, sondern wird generell auch in weit entfernte Gebiete transportiert. Wenn die Bundesregierung allerdings keine überregionalen Maßnahmen einleiten will, sind die Länder und Städte zu effektiveren regionalen Maßnahmen gezwungen. Sie schulden es der Gesundheit ihrer Bürgerinnen und Bürger.
Das eigentliche gesellschaftliche Dilemma ist, dass es die deutschen Regulationsmechanismen nicht geschafft haben die seit über 20 Jahren virulente NO2-Belastung auf ein gesundheitlich verträgliches Maß herunterzuschrauben. Dazu gehört eindeutig auch die beteiligte Justiz, die angesichts der hohen Opferzahlen durch NO2 nichts Besseres zu tun hat als eine Klage der Deutschen Umwelthilfe abzuschmettern. Symptomatisch an diesem Defekt ist, dass es die US-Umweltbehörde EPA war, die den Stein des VW-Skandals ins Rollen gebracht hat. Und ein Großteil des Aktionismus in Stadtverwaltungen und Ministerien scheint alleine der Tatsache geschuldet, dass seitens der EU-Kommission sanktionierende Strafzahlungen an die Tür klopfen. analogo.de bleibt jedenfalls am Thema dran.