Schlammige Aufklärung zu Mainzer Klärschlamm

Mainz | analogo.de – Es ist der 26. Januar 2016 und in Mainz-Mombach stinkt es wieder. Ein Cocktail aus nitrosen und organischen Gasen macht einem großen Teil der riechenden Bevölkerung von Mainz, Wiesbaden und Hochheim wieder mal das Leben zur Hölle. Der analogo.de LONG READ.

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Zwischen 230 und 250 Inversionswettertage verzeichnet Mainz pro Jahr. Warme Luftschichten vom höhergelegenen Taunus und Hunsrück legen sich dabei über die kälteren Luftschichten des über Nacht abgekühlten Eiswassers des Rheins. Die schlechte Luft des Industriegebietes Mombach kann nicht nach oben abziehen, sie ist nach oben hin blockiert.

Wie ein Block erscheint die Wucht der Industrieabgase von nur wenigen Emittenten. Jeder kennt sie, man kann sie an einer Hand abzählen. Die präsente Schweizer Nestlé emittiert mit einer ihrer fünf Kaffeeröstereien in Europa ätzendes Gas über die Dächer von Mombach. Doch das größte Klärwerk von Rheinland-Pfalz in der Nachbarschaft schlägt mit ihrem Gas- und Aerosolcocktail den Ätzfaktor um Längen.

Stärkere Umweltbelastung durch 7.000 LKWs pro Jahr

Auf dem Gelände dieses Zentralklärwerks will die neu gegründete Thermische Verwertung Mainz GmbH (TVM) nun die Hälfte allen rheinland-pfälzischen Klärschlamms verbrennen. 25 LKWs pro Tag werden aus dem Umkreis (Radius 50km um Mainz) und aus den Städten Kaiserslautern und Ingelheim alle verfügbaren Klärschlämme herankarren, um die Anlage rentabel zu machen. Das dürfte einer Umweltbelastung von etwa 7.000 LKW-Fahrten pro Jahr entsprechen. Gegen diese Pläne hat sich erheblicher Widerstand durch die kleinen Stadtratsparteien und eine Bürgerinitiative formiert.

Die zahlreichen Beschlüsse im Stadtrat für das Projekt werden von den Mehrheitsfraktionen getragen. Selbst die Mombacher Abgeordneten von SPD (Lossen-Geißler) und CDU (Mörchel) wurden innerhalb ihrer Parteien auf Linie gebracht, nachdem sie zuerst für den Bau waren, dann auf Druck ihrer Bürger dagegen. Laut Informationen von analogo.de wurden einige der fünf „Abweichler“ der großen Fraktionen unter Druck gesetzt, sich an der einvernehmlichen Abstimmung ihrer Fraktionen zu beteiligen, oder alternativ mit Schwierigkeiten innerhalb der SPD und/oder ihrem Job rechnen zu müssen. Obwohl Mainz eine Großstadt ist, werden Beziehungen (nicht nur durch Fastnachtsaktivitäten) stark politisiert. So arbeiten zum Beispiel STRM Michael Pietsch/CDU und STRM Eleonore Lossen-Geißler/SPD in erwerbsbezüglicher Nachbarschaft in den Räumlichkeiten der Universitätsklinik. Erwerbsbezügliche Nähe kann individuelles Verhalten ändern.

Die politischen Beobachter wissen, dass es auch Lossen-Geißler stinkt. Dabei zitierte der Merkurist den Wissenschaftler Norbert Dichtl, der bescheinigte, durch die Anlage seien keine üblen Gerüche zu erwarten. Die Belüftungsanlagen würden die entstehenden Gerüche sofort absorbieren. TVM-Geschäftsführer Carsten Krollmann beschwichtigt mit denselben Worten.

Akuter Gestank wird nicht überwacht

Wie passen diese Aussagen zu den Erfahrungen? Ein Realitätscheck: Wer sich während des Jahres über den Gestank in Mombach beschweren möchte, landet irgendwann bei der Genehmigungsbehörde SGD Süd. Diese ruft nach eigener Aussage die verschiedenen Betreiber an, und fragt, ob es akute technische Probleme gebe. Der Leiter der SGD Süd räumte in einer persönlichen Präsentation für den Herausgeber von analogo.de ein, dass sich die Behörden in solchen Fällen auf die Aussage verlassen müssten, denn sie haben weder Personal noch technische Möglichkeiten für akute olfaktorische Messungen. Man verlasse sich daher auf Mehrjahresmodelle und die Aussage der Betriebe, so die Behörde. Mit anderen Worten: Die Emittenten können mehr oder weniger machen was sie wollen.

Diese Erfahrung haben die Mombacher über viele Jahre hinweg machen müssen. Ihren Stadtteil hat die Stadtverwaltung zu einem der größten Industriegebiete des Bundeslandes ausgebaut; die Umweltprobleme wie das Verkehrsaufkommen haben sich über die Jahre akkumuliert und verdichtet. Zu den zahllosen Fahrten für Abfallentsorgung und Bauschutttransport von Firmen wie Knettenbrech-Gurdulic sollen nun also mindestens 20 weitere LKWs pro Tag durch Mombach oder daran vorbei rauschen.

Den Mombachern stinkt’s. Es ist die Summe aus steigendem Verkehr, Gestank, Lärm und hässlichem Industrieumfeld. Die geplante Klärschlammanlage scheint der Tropfen zu sein, der das Fass zum Überlaufen bringt. Irgendwann ist das Fass voll und es passt einfach kein Tropfen mehr ins Fass. Der Raum für Toleranz scheint erschöpft.

Stadtverwaltung ist offen → GmbH verheimlicht

Wenn im humanistischen Umfeld unserer Gesellschaft der demokratische Weg verschlossen ist, weil die Mehrheit der Bürger von Mainz nun mal nicht in Mombach wohnt, sucht man weitere vernünftige Gründe ein beschlossenes Projekt zu stoppen. Gern bemühte Königswege in Deutschland sind entweder formale Fehler des Verfahrens oder die Finanzierung von Projekten.

Die Klärschlammverbrennungsanlage soll zu 100% von Banken finanziert werden. Da die Stadt Mainz aber pleite ist, gründete man eine GmbH. Die Banken würden das Projekt lieben, so TVM-Geschäftsführer Krollmann. Der ehemalige Abteilungsleiter der Kraftwerke Mainz-Wiesbaden, Johann Christoph Pracht fragte hierzu gemäß Landesumweltinformationsgesetz (LUIG) und dem ausgelaufenen Informationsfreiheitsgesetz (LIFG) nach Details, dessen Preisgabe ihm von der TVM am 18. Januar 2016 aufgrund angeblichen Geheimhaltungswillens und „berechtigtem“ Geheimhaltungsinteresse abgelehnt wurden. Pracht hatte um die folgenden Auskünfte gebeten:

  1. Fachgutachten zur Wirtschaftlichkeit der Anlage
  2. Garantierte und mögliche Anlieferungsmengen der TVM-Gesellschafter
  3. Genaue Jahresanlieferungsmengen von Klärschlamm
  4. Kosten, Gebühren, sonstige Einnahmen und die Wirtschaftlichkeit beeinflussenden Faktoren
  5. Planungskosten und Baukosten
  6. Nähere Informationen zur Aufbereitung der Asche zu Phosphatdünger  

Überhaupt Geheimhaltung: Die TVM ist der Ansicht, dem begehrten Informationszugang stehe der durch § 11 LIFG und § 9 Satz 3 LUIG gewährte Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen entgegen. Man lehne den Antrag zudem aufgrund § 11 LIFG ab, um das eigene geistige Eigentum zu schützen. Zuvor lud man zwar Stadtratsmitglied Kurt Mehler/FWG in die neuen und großzügigen Räumlichkeiten der TVM ein, um das Konzept vorzustellen, die Zahlen aber hatte man geschwärzt. Auch Stadtratsmitglied Xander Dorn (Piratenpartei) forderte von den Verantwortlichen, dass sie alle Zahlen, Daten und Fakten offenlegen. Wieder einmal lagert die Stadt Mainz ihre Hoheitspflicht in eine organisationsprivatisierte Firma aus, die sodann Details zum Geschäftsgebahren verheimlicht.

Paternalistische Botschaft

Für Verantwortliche wie OB Michael Ebling ist weitere Kritik allerdings alter von „Partikularinteressen“ getragener Käse. TVM-Geschäftsführer Carsten Krollmann zeigte sich in einem einstündigen Telefon-Interview mit analogo.de weniger arrogant und gesprächiger. Man stehe europaweit unter Beobachtung, da man mit der Anlage eine neue Technik einführe. Diese Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse wolle man schützen, um im Endeffekt günstigere Kosten für die Mainzer Endverbraucher generieren zu können. Wettbewerber wie Remondis oder die Betreiber in Werdhölzli würden geradezu warten, dass das während mehrerer Jahre ausgearbeitete Erfolgskonzept der TVM öffentlich gemacht werde und somit kopiert werden könne.

Über eine Veröffentlichung der angefragten Details würden die Wettbewerber aber ihren Rückschluss auf den „heißen Preis“ des Annahmepreises ziehen können, der im Entsorgungskonstrukt für die Finanzierung entscheidend sei.

Der finanzträchtige Klärschlamm-Markt füge sich ein in die Logik des Energie-Oligopols in Deutschland. Man habe in der jetzigen Konzeptphase Besuche aus Bremen, Potsdam und Berlin erhalten, da man deutschlandweit nach neuen Möglichkeiten sucht, die Effizienz der Klärschlammverarbeitung zu erhöhen, sagte Krollmann. In Mainz läge man bei den Abwassergebühren im untersten Bereich aller deutschen Städte. Durch die hervorragend geplante Mainzer Anlage würde sich daran langfristig auch nichts ändern. Da spricht also der überzeugende Techniker mit paternalistischer Botschaft.

Bezahlung von Geschäftsführern und schlammige Aufklärung

analogo.de wollte nun wissen, warum man den Bau der Anlage nicht auf 36 Millionen Euro – so wie im Stadtrat beantragt – deckeln wolle. Krollmann verwies auf notwendige Puffer, die allen Bauarbeiten inne liegen würden. Aber dann überraschte er mit der Aussage, die Anlage sei immer noch rentabel, wenn der Bau eine Million Euro mehr koste. Geld scheint also keine Rolle zu spielen. Wir fragten: Können sich die TVM-Geschäftsführer folglich ihr Gehalt nach Belieben aufstocken?

Krollmann lacht am Telefon, und verneint. Er werde nach dem Angestellten-Tarif TVV (Tarifvertrag Versorgungsbetriebe) bezahlt, und sein Geschäftsführer-Kollege aus Kaiserslautern nach dem TVöD (Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst). Auch hier äußerte Krollmann eine unglückliche Wahrnehmung der TVM in der Öffentlichkeit, die nicht zuletzt durch eine unglückliche PR rund um das Projekt zu erklären sei. Wären viele Kontroversen ohne eine schlammige Aufklärung zu vermeiden gewesen?

Ein Zwischenfazit: Steht also zwischen der fertigen Anlage und den erbosten Bürgern nur ein umwelt-psychologisches Kommunikationsproblem? Den Mombachern stinkt’s, aber es soll gar nicht stinken. Es gibt zwar mehr LKWs, aber die fahren an Mombach vorbei. Die Stadt Mainz ist pleite, muss zu 100% finanzieren, aber Geld spielt keine Rolle. Wichtige Wahrheiten bleiben geheim, aber die Bürger sollen den Verantwortlichen Glauben schenken.

Apropos Glauben: Der Leipziger Wissenschaftler Ulf Papenfuß hat mit einer Forschergruppe ein Transparenzgefälle bei der Vergütung von Top-Managern öffentlicher Unternehmen festgestellt. Die “Handkäs-Mafia-Stadt” Mainz schneidet bei seiner Studie mit über 70% Geheimhaltung als eine der intransparentesten Landeshauptstädte ab. Es verwundert daher nicht, dass die Bürgerinnen und Bürger die von Intransparenz geprägten Finanzkonstrukte der Stadt Mainz immer stärker beleuchten wollen, und folglich die Gehälter von Geschäftsführern der durch die Stadtverwaltung ausgelagerten Gesellschaften von teilweise €16.000 pro Monat hinterfragen. Auch diese arroganten Verheimlichungen stinken den Mainzern.

Kaiserslautern → Mainz → Kaiserslautern

Einen Hauch von nüchterner Arroganz empfanden viele Bürgerinnen und Bürger im Herbst 2015 in der Mombacher Eintrachthalle, als sich Oberbürgermeister Michael Ebling mit weiteren Verantwortlichen der Kritik einiger Hundert erboster Mombacher stellte. Hatte der Stadtrat doch alle Beschlüsse getroffen, das sei nun mal Demokratie. Demokratie als System, in dem Beschlüsse mit einer 51%igen Mehrheit gefällt werden, auch wenn die 49%ige Minderheit dabei überproportionale Nachteile erfährt.

Der nüchterne Plan lautet denn: Seit einigen Jahren verbrennt die Stadt 6.000 Tonnen lokalen Klärschlamm pro Jahr. Alle zwei Jahre wird die Entsorgung neu ausgeschrieben. Die Kosten steigen stetig (u. a. für die Entwässerung). Im Juli 2014 genehmigte die SGD Süd das neue Projekt. Und die Gerichte machten vor kurzem den beantragten Sofortvollzug möglich. Derzeit werden maschinentechnische Komponenten ausgeschrieben. Ende 2016 ist die Bautechnik dran. Baustart: Frühjahr 2017. Nach 18 Monaten Bauzeit dürfte die Anlage somit Ende 2018 betriebsbereit sein.

In ca. drei Jahren werden also LKWs aus Kaiserslautern Klärschlamm nach Mainz fahren, damit er hier verbrannt werden kann, um ihn danach auf eine Monodeponie zurück nach Kaiserslautern zu verfrachten: Müll-Logistik auf Kosten der Umwelt und der Mombacher. Auch das ist eine nüchterne Feststellung. Theoretisch wollte die Stadt den verbrannten Schlamm in der Weisenauer Deponie lagern, aber auch hier gab es erhebliche Widerstände.

Zurück zu den Kosten: Nachdem der Stadtrat das Projekt nicht auf 36 Millionen Kosten deckeln wollte, brachten die Kritiker weitere Kostenargumente. Die AZ berichtete im September 2015. Wenn Kosten aber keine Rolle spielen, und es den Mombachern stinkt, warum wird das Kostenargument überhaupt noch bemüht und nicht stärker auf die Umwelt- und Lebensqualität der Menschen geschaut?

Argument Phosphat verpufft

Ein Argument für die zumindest unmittelbare Verbesserung der globalen Lebensqualität war die Argumentation der Befürworter, man könne im Schlamm befindliches Phosphat zurückgewinnen. Die natürlichen Phosphorvorräte der Erde neigen sich dem Ende zu. Das meiste verwendete Phosphor fließt über Flüsse in die Meere und ist dort verloren, da das Phosphat nur über milliardenschwere Investitionen aus den Meerestiefen geborgen werden kann. In ihrer TVM-Antwort an Hans Pracht steht jetzt aber, dass die TVM zur Ascheaufbereitung gar keine Pläne hat. Gegenüber analogo.de bestätigte Krollmann, dass man von vorneherein kalkuliert habe den Schlamm mit den Phosphatanteilen zurück nach Kaiserslautern zu fahren. Damit verpufft auch dieses Argument der umweltschützenden Ökologie.

Den Argumentationsstrang der TVM in ihrer Hinhaltung der Bürgeranfrage und Schwärzung der Zahlen gegenüber dem Stadtratsmitglied Kurt Mehler hält die Freie Wähler Gemeinschaft (FWG) für rechtlich fragwürdig. Man stelle nicht nur ein Verstoß gegen gesetzliche Vorgaben fest, sondern es würden auch Kontroll- und Auskunftsrechte von Mitgliedern des Stadtrates verletzt. Daher hat die Fraktion für die kommende Stadtratssitzung am 03.02.2016 die folgende Anfrage gestellt:
  
1. Wurden Verwaltung und Stadtvorstand über den Vorgang durch die TVM informiert und wenn ja, wann?
    
2. Sind Verwaltung und Stadtvorstand der Auffassung, dass Fragen, die die Wirtschaftlichkeit der Klärschlammverbrennungsanlage und damit Fragen betreffen, von denen abhängt, ob von den Bürgern der Stadt Mainz künftig höhere Gebühren erhoben werden, gegenüber Bürgern und Stadträten verheimlicht werden dürfen oder müssen?
    
3. Welche Wettbewerber der TVM könnten welche Vorteile im Wettbewerb haben, wenn der beantragte Informationszugang gewährt würde bzw. welche Nachteile wären dann zu erwarten?
    
4. Sind Verwaltung und Stadtvorstand der Auffassung, dass es ein überwiegendes öffentliches Interesse gibt, den Bürgern und Stadträten der Stadt Mainz den Zugang zu amtlichen Informationen zu verweigern, die es ermöglichen, sich eine eigene Meinung darüber zu bilden, ob die Realisierung der Klärschlammverbrennungsanlage zu Gebührenerhöhungen führen wird und wenn ja: welche Interessen sind dies?

5. Wenn es keine Planungen zur Ascheaufbereitung gibt, bedeutet dies, dass es auch keine Einnahmen aus dem Verkauf von zu Dünger aufbereiteter Asche geben wird – ist dies in der Wirtschaftlichkeitsberechnung bereits berücksichtigt bzw. kann die Anlage dann noch kostendeckend betrieben werden bzw. welche Anlieferungsmengen und Preise sind dann für einen kostendeckenden Betrieb erforderlich?

Die Gefahr von zu viel Schlamm ist es, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Bildrechte: User 272447 auf Pixabay 647054_1280
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