Mainz | analogo.de – Die Affäre um den Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling ist noch nicht vom Tisch. Am 15. Juli 2015 forderte der als Hardliner geltende SPD-Mann auf der Stadtratssitzung illegalerweise eines der Mitglieder auf einen Privatgegenstand herauszurücken.
Aufgefordert zu dieser Tat wurde Ebling in einer Wortmeldung zur Tagesordnung durch CDU-Mitglied Thomas Gerster. Er möge den Stadtratskollegen Xander Dorn das Tragen eines privaten Messers untersagen. So berichtete uns der Fraktionsvorsitzende der SPD, Eckart Lensch. Das nachträglich erstellte und auf der Webseite der Stadt Mainz veröffentlichte Protokoll gibt dagegen an, dass Gerster OB Ebling um „Veranlassung“ gebeten hat, dass Stadtratsmitglied Dorn sein mitgeführtes Messer abgeben möge.
Als ein für das ZDF arbeitender Jurist hätte Thomas Gerster es jedoch besser wissen müssen. Immerhin forderte er OB Ebling damit zu einer illegalen Tat auf, denn das Messer trug Dorn auf legale Weise bei sich. Indirekt unterstellte Gerster damit aber einem Stadtratskollegen, dass dieser sein Messer im Zweifel für eine Gewalttat nutzen würde. Michael Ebling, Bruder des leitenden Polizeidirektors Tom Ebling, parierte gefällig, auch wenn das Stadtratsprotokoll nicht erwähnt, dass er der Aufforderung sogleich nachkam. Hat die oppositionelle CDU damit Xander Dorn benutzt, um der regierenden SPD ein politisches Bein zu stellen?
analogo.de wollte Näheres wissen, und befragte die politisch Involvierten. Xander Dorn selber verweist zunächst auf seine Webseite, wo er ausführlich Hintergründe erklärt, was dazu führen kann, dass man ein Messer bei sich trägt. Förmlich und menschlich korrekt antwortete Kurt Mehler/FWG, dass er mit seinem „Sitznachbarn“ im Ratssaal Xander Dorn selber reden wolle, wie sich die Sache darstelle. Christian Hensen von der CDU-Stadtratsfraktion Geschäftsstelle ließ wissen, dass für die CDU-Stadtratsfraktion das Tragen von Waffen im Ratssaal nicht angemessen sei. In einem längeren Telefonat mit unserer Redaktion räumte Hensen aber ein, dass es formal falsch war, Dorn aufzufordern seinen Privatgegenstand herauszurücken, da es schließlich in keiner offiziellen Geschäftsordnung des Stadtrates untersagt sei.
Weihwasser predigen und Wein trinken
Für die SPD antwortete der Fraktionsvorsitzender Eckart Lensch, dass seine Partei das Tragen eines Messers während der Sitzungen für inakzeptabel halte. Dies widerspreche fundamental ihrem Verständnis von Gewaltfreiheit als unabdingbarer Voraussetzung für eine offene Diskussion im Stadtrat. Man lege großen Wert darauf, dass die parlamentarische Arbeit und die Meinungsbildung in den Gremien auch weiterhin gewaltfrei und von Waffen unbedroht erfolgen könne.
Bei näherer Betrachtung fragt sich hier aber der politisch Interessierte: Warum machte dann der oberste SPD-Mann Ebling von seiner Macht als Sitzungspräsident Gebrauch, und übte Gewalt in Form seiner konkreten Aufforderung aus? Warum predigt die SPD Weihwasser und trinkt Wein? Warum behauptet Lensch gegenüber analogo.de, dem Verständnis der SPD folgend sei die politische ‚Waffe‘ von Demokraten das freie Wort, und veranlasst durch OB Ebling eine nachträgliche private, inoffizielle und nicht-öffentliche Begutachtung der „Waffe“ beim Rechts- und Ordnungsamt?
Dabei fällt auf, wie in der SPD das Zepter geführt wird: SPD-Stadtratsmitglied Andreas Behringer berichtete der Allgemeinen Zeitung von seiner „privaten“ Meinung, dass Dorn auf ihn einen sehr friedliebenden Eindruck mache und er sich durch sein Messer nicht bedroht gefühlt habe.
Mainzer Allgemeine Zeitung macht Politik gegen Stadtratsmitglied
analogo.de fragte also den zuständigen Mitarbeiter beim Rechts- und Ordnungsamt. Dieser verwies auf den Pressesprecher der Stadtverwaltung, Markus Biagioni. Seines Zeichens Abteilungsleiter der Pressestelle verwies dieser wiederum auf einen Artikel des Wurstblattes Allgemeine Zeitung (Wurstblatt siehe taz-Redakteur Deniz Yücel), aus dem sich der „korrekte Sachverhalt ergebe“.
Jenseits vom Wahrheitsbegriff der Mainzer Stadtverwaltung und der einzig verbliebenen Tageszeitung in Mainz wollte analogo.de Näheres wissen. Denn es erstaunte, dass Xander Dorn sein Privateigentum nicht herausrücken wollte. Er musste also wissen, dass er sein Messer auf legale Weise bei sich trägt.
Auf Nachfrage bei der Firma Waffen Frank in Mainz erfuhren wir, dass Messer mitgeführt werden dürfen, sofern ihre Klingenlänge unter 12 cm beträgt. Da sich dies mit der Aussage Dorns deckte, forderten wir eine erneute Stellungnahme von der Stadtverwaltung zur Rechtsgrundlage der Tat des Oberbürgermeister Michael Ebling.
Pressesprecher Biagioni antwortete, die Aussage von Herrn Dorn decke sich nicht mit der Begutachtung der „Waffenbehörde“. Diese „Begutachtung“ war laut Dorn aber ein wohlgemerkt privater und nicht offizieller oder gar öffentlicher Termin beim Rechts- und Ordnungsamt. Die Antwort, wie lange die Klinge war, blieb Biagioni schuldig. Ohne dass Thomas Gerster, Michael Ebling oder andere stillschweigende Beteiligte wie die Grünen irgendwelche Details zu dem Messer kannten, versuchte das „Rechts- und Ordnungsamt“ nachträglich die Tat von OB Ebling durch Argumente reinzuwaschen.
Diskreditierung verlangt nach Entschuldigung
Der politische Kniff von Thomas Gerster/CDU scheint nun aufzugehen: Die SPD steht mit dem Rücken zur Wand und nebenbei hat man eine Splitterpartei im Stadtrat durch ein an sich un-politisches Thema verwundbar gemacht, wenn nicht sogar diskreditiert. Andreas Behringer/SPD deutete dies auf ehrliche Weise an, indem er als privat geäußerte Meinung darauf hinwies (siehe Bericht der AZ), dass es schade sei, dass nicht über den Antrag des Piratenpartei-Vertreters Xander Dorn zum Thema Klärschlamm diskutiert worden sei, sondern über das Messer. Dabei war das Thema Klärschlamm ein Höhepunkt der Sitzung vom 15. Juli. Viele Parteien hatten einen Antrag zum Thema formuliert. War die besagte Wortmeldung von Gerster womöglich ein gezieltes Ablenkungsmanöver? Sollte OB Ebling als Sitzungsleiter auf eine andere Fährte geleitet werden, die das Ordnungsamt später dienstbeflissen aufnahm?
Nun denn, wenn es der ZDF-Jurist Gerster so will, sollten sich die Ankläger in die Feinheiten des Waffengesetzes einarbeiten: Das Waffengesetz definiert eindeutig Klingenlängen für Messer mit feststehender Klinge im § 42a. Das Argument des zweiseitigen Schliffes wird im Waffengesetz für Messer ohne feststehende Klinge ausschließlich in Anlage 2, Punkt 1.4.1 für Spring- und Fallmesser verwendet – das einzige Mal, dass das Wort „zweiseitig“ vorkommt. Die Worte „Parierstange“ und „symmetrisch“ kommen im Waffengesetz und seinen Anlagen nicht vor. Diese Fremdwörter entstammen dem Argumentationsleitfaden der Stadtverwaltung, an dem man sich nun aufgrund Eblings Tat entlang zu hangeln veranlasst sah. Nur Dorn wusste genau, wie er sich verhielt, denn er hatte bereits vor dem Messerkauf entsprechend recherchiert, weil er gerade nichts Verbotenes erwerben wollte.
Nach der Begutachtung des Messers hat sich das Amt bei Dorn nicht mehr gemeldet. Wie sich abschließend zeigt, sind die „Beweise“ des Amtes mehr als dürftig und die von der Stadtverwaltung vorgelegten Informationen kaum als glaubhaft einzustufen.
Sechs offene Fragen
Es bleiben aber offene Fragen der Klärung:
- Wie konnte einige Tage nach dem 15. Juli und somit vor jeder Begutachtung das Wurstblatt Allgemeine Zeitung einen politisch motivierten Artikel gegen ein vorbildliches Stadtratsmitglied der Piratenpartei lancieren, zumal der „Angeklagte“ etwas anderes behauptete?
- Wieso missbraucht OB Michael Ebling/SPD seine Macht als Sitzungspräsident und stellt ein ehrenwertes Stadtratsmitglied als potenziellen Täter hin?
- Wenn OB Michael Ebling in diesem Falle als der eigentliche Täter entlarvt ist, welche Konsequenzen muss dies haben?
- Wenn das Tragen eines Messers in einem öffentlichen Raum wie einer Stadtratssitzung in Ordnung ist, weil es in keinem Satzungsstatut verboten ist, warum stellen SPD und CDU ihre moralische Meinung vor geltendes Recht? Wie viel Anteil indirekter Diskreditierung und mit Füßen getretener Menschenwürde bestimmt den Umgangston im Stadtrat von Mainz?
- Was bedeutet dieser Polit-Stil für die kleineren Parteien?
Und zum Schluss der vielleicht wichtigste Punkt: Warum fragte Gerster nicht zunächst einmal persönlich bei seinem Stadtratskollegen Dorn nach und offenbarte einen solch miserablen mitmenschlichen Stil unter Stadtratskollegen?
Gerster stand wegen Urlaub für eine Antwort nicht zur Verfügung. Es bleibt zu hoffen, dass er sich nach einem erholsamen Urlaub bei Xander Dorn entschuldigt.
Einen ersten Überblick über die politische Landschaft in Mainz gibt es übrigens auch hier nachzulesen.