Deutsche Bank zwingt Mitarbeiter zum Whistleblowing – Mitarbeiterschutz unzureichend

Frankfurt am Main | analogo.de – Wenn Unternehmen Unsummen an Strafen zahlen, waren Juristen am Werk. Ihrer Sprache unterwerfen sich Konzerne und Geheimdienstchefs, Politiker und Multimilliardäre. Juristen helfen die Welt zu regieren. Wer in den letzten zwei Monaten die Befragungen im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages verfolgte, rieb sich oftmals die Augen, ob da nun der Zeuge aussagte oder der Rechtsverdreher des BND. Juristen sind in großen Unternehmen auch gefragte Leute, wenn es um die modische Idee aus den USA namens Compliance geht.

Verliert ein Konzern zu viel Geld, liegt das häufig am Management. Preisabsprachen der Lufthansa Cargo AG führten dazu, dass der Konzern 2006 85 Millionen US-Dollar an die US-Behörden zahlte. Es dauerte nicht lange, bis der Vorstand vom Hauptsitz Frankfurt ausgehend ein konzernweites Compliance-Programm auflegte. Mitarbeiter sollen eine Menge Grundsätze beachten, so dass möglichst keine hohen Strafen mehr gezahlt werden müssen. Ein hochrangiger Manager trug offensichtlich eine Hauptschuld, „wurde“ aber nur zur Lufthansa Passage „strafversetzt“. Das Management machte große Fehler, aber das Verpflichtungsprogramm wurde für alle Mitarbeiter ausgerollt.

Die Zeit der Freiheit soll nun auch für Mitarbeiter der Deutschen Bank enden. Wie ein internes Papier der Konzernzentrale verrät, werden die Mitarbeiter, Vertragsangestellte und andere vertraglich verpflichtete Personen gezwungen alle möglichen „Verstöße“ intern zu melden. Das kurze Papier nennt sich „Richtlinie zur internen Risikokommunikation (Whistleblowing)“. Was sich nach einer aufgeschlossenen Unternehmenskultur anhört, könnte das Klima in den eigenen Bankentürmen vergiften.

Im Gegensatz zum Lufthansa Cargo-Konzern musste die Deutsche Bank in der letzten Zeit viel mehr Geld an diverse Behörden zahlen. Ihre Mitarbeiter hatten an allen möglichen Fronten gegen Recht und Gesetz verstoßen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung und das Handelsblatt berichteten ausführlich über die letzten Strafzahlungen. Derzeit stellt die Bank vier Milliarden Euro Rückstellungen zur Seite, da man mit weiteren Strafzahlungen (Libor und andere) rechnet. Die Finanzbranche und ihre „Player“ sind außer Kontrolle, eine Regelung soll her. Doch die neuen Compliance-Regeln kommen sehr schnell gestrickt daher. Denn die Hinweisgeber gehen erhebliche Risiken ein, erhalten auf der anderen Seite aber keinen verbindlich geregelten Schutz ihres Arbeitgebers. Die Deutsche Bank fordert also von ihren eigenen Mitarbeitern bei der Informationsweitergabe maximale Loyalität, droht ihnen mit schweren Sanktionen bis hin zur Kündigung und bietet im Gegenzug nicht einmal den möglichen Schutz in etwaigen Strafverfahren und Ermittlungen. Whistleblower werden manchmal als Nestbeschmutzer bezeichnet. Dabei werden nicht Menschen beschimpft, die den Schmutz ins Nest bringen, sondern ihn herausholen (sollen). Die Deutsche Bank zwingt ihre Mitarbeiter nun den Schmutz herauszuholen. Und davon muss es viel geben, angesichts der Dramatik der neuen Ansage. Doch den Hinweisgebern wird allenfalls ein „angemessener Schutz“ gewährt. Wird man am Ende bestraft, weil man die Wahrheit sagt? Offiziell verbietet die Bank jegliche Vergeltungsmaßnahmen, wägt die potenziellen Hinweisgeber in Sicherheit. So heißt es überzeugend, dass „gegen Personen, die sich nachweislich an Vergeltungsmaßnahmen beteiligt haben, disziplinarische Maßnahmen bis hin zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses ergriffen werden“. Auch weist die Bank einen Weg, wie man einen „Verstoß“ seines eigenen Vorgesetzten klugerweise an seinem Vorgesetzten vorbei meldet. Die Bank hat offensichtlich erkannt, dass eine Menge ihrer leitenden Angestellten nicht vertrauenswürdig ist. Soll die neue Richtlinie den Weg bahnen, gewisse Mitarbeiter loszuwerden?

Nach Einschätzung von Compliance-Spezialisten unterscheidet sich die Rigidität der Richtlinie und der mangelnde Schutz der Whistleblower erheblich von vergleichbaren Richtlinien anderer Unternehmen. Die Vorgaben sind nicht in das heute meist gültige „Wertemanagement“ eingebunden, sondern entspringen eher einer Misstrauenskultur. Meldung, Feststellung und Untersuchung müssen vertraulich behandelt werden. Es droht selbst die Kündigung, sofern man wissenden Auges eine vermeintlichen Verstoß nicht gemeldet hat. Die Verbreitung von Angst und Schrecken unter den Mitarbeitern dürfte schnell zu einem „gelähmten Unternehmen“ führen. Eigene Dienstleister werden sich genau wie Kunden zweimal überlegen, ob sie weiter mit der Deutschen Bank Geschäfte machen.

Compliance Richtlinien dieser Art sind in der Regel stärker differenziert abgefasst; die anzuzeigenden Fälle und das Sanktionsgerüst eindeutig abgestuft. Der Schutz der Betroffenen ist zumeist genau formuliert. Die Deutsche Bank formuliert dagegen nicht eindeutig genug. Lediglich die grundsätzlichen Bedeutungen von „Pflicht“ und „Sanktion“ (bis zur Kündigung) werden eindeutig herausgestellt. „Die Gefahr, mit solchen Whistleblower-Systemen Beschäftigte ohne ausreichende Grundlage einem Verdacht auszusetzen und umgekehrt meldepflichtige Beschäftigte unangemessenen Risiken auszusetzen, ist hoch“, so Stefan Brink, Leiter Datenschutz des Landesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Rheinland-Pfalz. Problematisch sei ferner, so Brink gegenüber analogo.de, dass sich ein Betroffener gegen anonyme Meldungen nur sehr schwer oder gar nicht wehren kann. Von Rechts wegen müsse der Betroffene notfalls gegen die Vorwürfe rechtlich und gerichtlich vorgehen können. Nur wie soll er das, wenn er im Gegensatz zu seinem hinweisgebenden Mitarbeiter nichts von der Einleitung eines Verfahrens gegen ihn erfährt? Da sich Unternehmen häufig das Recht herausnehmen, die „Tat“ an die Ermittlungsbehörden weiterzugeben, kann dies einen Nachteil für die Hinweisgeber bedeuten, die so weit eigentlich gar nicht gehen wollten.

Es stellt sich abschließend die Frage nach der Mitwirkung zweier Institutionen: Was sagte der mitbestimmungspflichtige Aufsichtsrat zu dieser Maßnahme? Zumindest eines seiner Mitglieder, Verdi-Chef Frank Bsirske ist für eine humane Mitarbeiterorientierung bekannt. Hat er am Ende dem „Dokument der Misstrauenskultur“ zugestimmt, da zu viele Mitarbeiter „außer Kontrolle“ gerieten? Und hat die hessische Datenschutz-Aufsichtsbehörde der schwarz-grünen Landesregierung die Deutsche Bank bei der Erstellung der Richtlinie beraten?

Deutsche Bank Türme in Frankfurt. Bildrechte: Jasmin Sessler auf Pixabay 4495552_1920
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