Mainzelbahn 20 Millionen teurer: Hanns-Detlev Höhne verhöhnt Mainzer Sparimpuls

Mainz | analogo.de – Das neue Straßenbahnprojekt in Mainz wird mindestens 20 Millionen Euro teurer als ursprünglich geplant. Die Mainzer Verkehrsgesellschaft (MVG) und ihre Konzernmutter Stadtwerke Mainz AG brummen auf diese Weise jedem einzelnen Bürger der Stadt einen zusätzlichen Schuldendienst für die Zukunft auf. Dabei tönte Stadtwerke Vorstand Höhne noch vor 4 Jahren, dass es gelungen sei „durch eine strikte Ausgabendisziplin den Kostenrahmen von 70 Millionen Euro einzuhalten.“ Indem nun mindestens 90 anstatt 70 Millionen Euro zur Disposition stehen, verhöhnt Hanns-Detlev Höhne mit Hilfe seiner Kollaborateure rückblickend den kommunalen Sparimpuls der Bewohner von Mainz auf eklatante Weise. Der analogo.de LONG READ.

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Obwohl die Stadtwerke AG „nur“ eine von der Stadtverwaltung organisations-privatisierte Gesellschaft ist, wird dem langjährigen Vorstand Hanns-Detlev Höhne in Mainz eine ähnliche Macht zugeschrieben wie dem Oberbürgermeister selbst. Diese Macht benutzt Höhne gerne für finanzielle Großprojekte. Nun aber macht sich Höhne mit der Mainzelbahn einen Namen als einer der Hauptverantwortlichen für die Verschwendungssucht der Stadtoberen.

Nach der umstrittenen Finanzierung der Mainzer Kunsthalle durch die Stadtwerke mit geschätzten 15 bis 20 Millionen Euro setzt Höhne nach, indem die MVG den Kostenberg der Mainzelbahn in kleineren Millionenschritten um 20 Millionen Euro verteuert. Aus der Meta-Perspektive scheint die Schuldenkategorie Hanns-Detlev Höhnes 15 bis 20 Millionen zu betragen, komme sie wie bei der Mainzelbahn in kleinen Häppchen daher oder werde sie gar komplett verschwiegen: Als Höhne in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung stolz über das frisch finanzierte Projekt Kunsthalle sprach, verschwieg er die Höhe der Kosten – ganz als ob es sich bei den Stadtwerken nicht um eine daseinsvorsorgende städtische Firma handeln würde.  

Zum Hintergrund: Aufgrund der starken Verschuldung der Stadt Mainz privatisierte die Stadt viele Teilbereiche der Daseinsvorsorge, was unter anderem zur Aktiengesellschaft der Stadtwerke Mainz AG führte. Während ein Großteil der 75 ausgelagerten städtischen Tochterfirmen mit einem Minus arbeitet, erwirtschaften die Stadtwerke einen Überschuss. Doch anstatt das Plus der städtischen Tochter Stadtwerke zu verwenden, um das Minus der anderen städtischen Töchter und somit den Schuldenberg der Stadt auszugleichen, spielte Höhne den Mäzen – und gab das Geld für eine Kunsthalle aus.

Die Überzeugungsrhetorik von Stadtwerken und MVG ist von nebulöser Machart. Es besteht die Gefahr, dass sich einige Beteiligte zu Lasten bürgerlicher Gelder die Taschen füllen. Der Leipziger Wissenschaftler Ulf Papenfuß hat jüngst mit einer Forschergruppe ein Transparenzgefälle bei der Vergütung von Top-Managern öffentlicher Unternehmen festgestellt. Die “Handkäs-Mafia-Stadt” Mainz schneidet bei seiner Studie mit über 70% Geheimhaltung als eine der intransparentesten Landeshauptstädte ab. Unter den 12 öffentlichen Unternehmen der Stadt Mainz, die sich laut Studienergebnis intransparent zeigen, stehen die Stadtwerke Mainz AG, die Mainzer Verkehrsgesellschaft mbH (MVG) und andere Töchter der Stadtwerke. In gewisser Hinsicht fühlt man sich in Mainz an sizilianische Verhältnisse von Intransparenz und Paternalismus erinnert.

Auch zum Mainzelbahnprojekt wurden über die letzten Jahre fragwürdige Zahlen angeführt, auf deren Grundlage teilweise die Stadtratsmitglieder dem Projekt zustimmten und obendrein die Zustimmung von Mainzer Bürgern ergaukelt wurde. Nicht umsonst landete die drohende Verschwendung bereits im Jahre 2010 im Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler (BdSt). Laut Geschäftsführer Réne Quante ist es dabei ohne Bedeutung, wie sich die Kosten der Mainzelbahn zwischen Bund, Land und Stadt am Ende verteilen werden. Schließlich würden alle drei staatlichen Ebenen durch Steuergeld finanziert. „Für die Schulden aller drei Ebenen müssen die Steuerzahler letztlich gerade stehen“, so Quante.

Das Verkehrsministerium von Rheinland-Pfalz (ISIM) teilte analogo.de auf aktuelle Anfrage mit, die MVG hätte die jüngste Kostenerhöhung dem bewilligenden Ministerium im März 2016 „fernmündlich“ mitgeteilt. Laut MVG „sei mit einer Kostensteigerung zu rechnen“, so Pressesprecher Winkler. Die genauen Ansätze der Kostensteigerung würden derzeit von der MVG ermittelt und nach Abschluss der Ermittlungen würde die MVG zur Abstimmung des weiteren Vorgehens auf das Land zukommen. Ob die abermaligen Kostensteigerungen einfach so durchgewunken werden?

Stadtwerke Pressesprecher Jens Grützner schreibt uns auf Anfrage, die ursprünglichen Realisierungskosten von 84 Millionen Euro dürften um fünf bis sieben Prozent steigen. Warum spricht Grützner von ursprünglichen 84 Millionen Euro? 2012 kündigte sein Chef maximal 70 Millionen an. Gründe liegen laut Grützner jedenfalls in der zurückliegenden Sperrung der Schiersteiner Brücke 2015 (unter anderem mussten Teilprojekte verschoben werden), in zusätzlichen Leitungsumlegungen entlang der Trasse sowie Aufwendungen im Erdbau.

Das Verkehrsministerium bestätigte uns weiterhin letzte Woche, dass die mit Bescheid vom 04.12.2013 bewilligten Bundes- und Landesfördermittel abhängig vom Baufortschritt auf der Grundlage von Verwendungsnachweisen anteilig ausgezahlt würden. Von der  Zuwendung des Landes von 9.058.350 € seien bislang folgende Teilbeträge ausgezahlt:

Jahr 2013: 0 €

Jahr 2014: 926.500 €

Jahr 2015: 3.802.500 €

Die Auszahlung des noch offenen Zuwendungsbetrages in Höhe von 4.329.350 € hänge ebenso vom Baufortschritt und der Vorlage und Prüfung weiterer Verwendungsnachweise und den zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln ab. Insofern könne für den Zeitraum ab 2016 nicht gesagt werden, wann und in welcher Höhe diese Mittel ausgezahlt werden können, so Pressesprecher Winkler. 

MVG-Geschäftsführerin Eva Kreienkamp geht derweil davon aus, dass ein Teil der zusätzlich anfallenden Ausgaben förderfähig ist, so dass Stadtwerke und MVG nicht die volle Summe zahlen müssten. „44 Millionen Euro aus dem Gesamtetat stammen aus Bundesmitteln, die an ÖPNV-Projekte gebunden sind“, so Kreienkamp. Warum spricht die MVG hier von 44 Millionen Euro Bundesmitteln, wenn das Landesverkehrsministerium nur von 41.289.000 € spricht? Kreienkamp gibt immerhin dieselbe Zahl an Landesmitteln vor, nämlich 9 Millionen Euro.

31 Millionen Euro würden schließlich Stadtwerke/MVG schultern, so Grützner gegenüber analogo.de. Unser Überblick der Mainzelbahn-Kostenentwicklung zeigt aber, dass Stadtwerke/MVG 40 Millionen anstatt ursprünglich 22 Millionen – und aktuell verlautbart – 31 Millionen Euro schultern müssen. Sind womöglich unterschiedliche Zahlen im Umlauf?

  Bund Land RLP MVG Summe
2010 36 12 22 70
2013 41  9 34 84
2015 41  9  35-37 85-87
2016 41  9 40 90

Das Ministerium des Innern, für Sport und Infrastruktur des Landes Rheinland-Pfalz teilte uns erklärend mit, dass beim Land bisher nur ein einziger Förderantrag der MVG vorliege. Man habe mit Datum vom 14.12.2012 einen formellen Förderantrag für die Erweiterung des Straßenbahnnetzes in der Stadt Mainz gestellt. Die Gesamtkosten des Förderantrags beliefen sich auf 83,6 Millionen Euro netto. Mit dem Bewilligungsbescheid vom 04.12.2013 wurde eine Zuwendung des Bundes nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz von bis zu 41.289.000 Euro und eine Zuwendung des Landes nach dem Landesverkehrsfinanzierungsgesetz – Kommunale Gebietskörperschaften und dem Landesfinanzausgleichsgesetz von bis zu 9.058.350 Euro bewilligt. Seitdem wurden seitens Rheinland-Pfalz keine weiteren Fördermittel für das Vorhaben bewilligt, so Pressesprecher Winkler gegenüber analogo.de. Die Stadtratspartei FWG geht davon aus, dass das Land sich nur an den Mehrkosten beteiligen wird, die (auf der Basis der Landeshaushaltsordnung) unvorhersehbar und unabweisbar sind. Der große Anteil werde bei der Stadt hängenbleiben, so Kurt Mehler aus der Fraktion.

Fest steht zum heutigen Zeitpunkt, dass die nächste Generation von Mainzer Bürgerinnen und Bürgern einmal mehr über alle Maßen mit Schulden und Kosten belastet wird. Nicht die jetzt investierenden Eltern bezahlen die Zeche, sondern ihre eigenen Kinder. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Verteilung der Gesamtlast auf Bürgerschultern über Bund, Land und Kommune unter dem Aspekt des sich ändernden GVFG Verteilungsschlüssels BRD-Bundesland/Stadt von 80/20 auf 60/40 ändern wird. Auch die FWG geht davon aus, dass sich die Kostenverteilung der Investition zunehmend auf die Stadt verlagern wird. Was bedeutet das für die Mainzer Bürger? Werden gar noch mehr Immobilien der Wohnbau verkauft oder ein Schwimmbad geschlossen, um die schlechte Kalkulation der Mainzelbahn zu retten?

In der Erklärung des kommunalen Entschuldungsfonds Rheinland-Pfalz hatten die Beteiligten noch vor kurzer Zeit einen dramatischen Appell formuliert, dass auf die Bürger enorme finanzielle Kraftanstrengungen zukomme, damit Mainz nicht zahlungsunfähig wird. Die Bedingung lautete, die Stadt müsse 15 Millionen Euro pro Jahr einsparen.

Angesichts dieses vorgegebenen Spar-Impulses muss die Investitionspraxis von Höhne und seinen assoziierten Mitarbeitern wie MVG-Geschäftsführer Jochen Erlhof als blanker Hohn erscheinen. Noch einmal zusammengefasst: 2008 gibt Höhne 15 bis 20 Millionen Euro für die Kunsthalle aus, anstatt einen Sparbeitrag für die Stadt zu leisten. 2016 geben Höhne und Erlhof kumuliert mindestens 18 bis 20 Millionen Euro mehr für die Mainzelbahn aus. Nach Adam Riese entsprechen 15 Millionen Euro Haben (2008) und 2 x 15 (var/+5) Millionen Euro nicht Haben (2008 und 2016) einer Differenz von mindestens 45 Millionen Euro (var/+5).

An dieser Stelle meint analogo.de: Bei genauem Hinsehen muss man den Herren eher bescheinigen, dass sie eine wesentliche Mitverantwortung für den eskalierenden Schuldenberg der Stadt tragen.

Mit Ausnahme der Freien Wählergemeinschaft (FWG) präsentieren sich die Parteien des Stadtrates auf unsere Anfrage im Stillhaltemodus. Kurt Mehler/FWG geht davon aus, dass die Kostensteigerungen schon in der Planungsphase ungefähr bekannt waren und man dann in kleinen Schritten diese vorhersehbare Entwicklung zugab. Er gibt zu bedenken, dass auch ein bewährtes Streckennetz der Fortschreibung bedürfe, aber was jetzt geplant sei, erscheine als der Versuch einer Schadensbegrenzung. „Man mag nicht daran glauben, dass es Fahrten zum Lerchenberg im 7,5-Minuten-Takt geben wird und zusätzlich dicht getaktete Fahrten vom Zollhafen zum Campus“, so Mehler. Unter Berücksichtigung der Rückfahrten beider Linien würde dies fahrbahngleiche Querungen der Koblenzer Straße fast im Minutentakt bedeuten. Verkehrstechnisch sei dies ein weiterer Schildbürgerstreich.

Schließlich zieht Mehler ein Fazit zur hochgelobten ÖKO-Bilanz der Straßenbahn: „Sie ist umstritten, denn letztlich fährt die Bahn mit Braunkohlestrom mit einem Wirkungsgrad der Primärenergie von weniger als 20% am Motor, also schlechter als ein altes Benzinauto“.

Gehörte noch vor drei Jahren die Partei DIE LINKE unter Fraktionssprecher Dieter Hofem zu den größten Kritikern der Kostenplanung, scheint die Kritik der heutigen Fraktion verstummt. Hatten Hofem und Fraktionskollegin Gudrun Hölzl noch bezahlte Posten in städtischen Gremien wie dem Aufsichtsrat der Stadtwerke abgelehnt, um Manipulationen der wichtigen Kritik vorzubeugen, ist ebenjene Kritik durch den neuen Vertreter der Linken, Jasper Proske verstummt. Der junge Proske sitzt munter in allen möglichen Gremien wie im oben erwähnten Aufsichtsrat – und schweigt prominent zum Thema Kostenexplosion Mainzelbahn. Die letzte Pressemeldung der Partei zum Thema datiert aus dem Jahre 2010 – sie stammt von Dieter Hofem.

Zur wichtigen Kritik: Warum  leistet sich die hochverschuldete Stadt Mainz mit der Mainzelbahn ein so teures Projekt? Ein Blick auf die Bundesliga-Zugehörigkeit des Fußballvereins Mainz 05 offenbart eine eindeutige zeitliche und örtliche Korrelation: Seit 2009 spielt der Verein in der 1. Bundesliga. Die Stadtwerke verlautbaren erste Pläne zum Bau der neuen Straßenbahn – am geplanten Stadion vorbei – im Jahre 2010. Die Coface-Arena wird 2011 eröffnet. 2012 ist der Förderantrag in trockenen Tüchern. Auch die FWG bestätigt, dass erste Streckenpläne annehmen lassen, dass die Mainzelbahn der Erschließung des Fußball-Stadions dienen soll. Um zu beweisen, dass dem nicht so ist, verzichtete man laut FWG demonstrativ auf eine Haltestelle am Stadion.

Verkehrsdezernentin Eder hätte zu diesem Zeitpunkt eingelenkt und mitgeteilt, dass noch alles offen sei. Weil die Stadionbahn für die Zuschüsse zu billig gewesen wäre, wurden weitere Kosten draufgepackt, was in der Praxis den zusätzlichen Ausbau bis zum Lerchenberg bedeutete. Vorsorglich habe man gleich zwei Wendeschleifen auf der Strecke mit eingeplant. „So etwas gibt es bei den alten Linien nirgends“, entschlüsselt Kurt Mehler.

Die FWG prognostiziert eine harte Zeit für die MVG, weil die Zuschüsse nicht oder kaum aufgestockt werden. Man klammere sich an das Anlocken neuer Fahrgastmassen, die bisher den Bus verschmäht oder das Auto bevorzugt haben. Wenn die Fahrgäste zunehmen, sei das erfreulich, aber nicht das Verdienst der „Elektrisch“.

Rückendeckung erhält Mehler vom Steuerzahlerverein, der befürchtet, dass es nicht bei den nun im Raum stehenden 90 Millionen Euro bleiben wird. Warum auch? Am 29.10.2010 berichtete die Rheinzeitung, dass Stadtwerke und MVG vom Bund 36 Millionen Euro erwarten und vom Land 12 Millionen. 22 Millionen Euro werde man selber schultern. Daraufhin mutmaßte der BdSt gar Subventionsbetrug und kritisierte, das Projekt erfülle nicht die Förderkriterien nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, nämlich

  1. dringende Notwendigkeit
  2. Wirtschaftlichkeit und
  3. Sparsamkeit

Bis zum Ende des Jahres 2016 dürften die Mainzer Bürger in etwa wissen, wie teuer sie das Projekt kommt. Von einem Spottpreis der Straßenbahn wird wohl weniger die Rede sein als vom Spott bzw. Hohn der Hauptverantwortlichen Höhne und Erlhof gegenüber dem Mainzer Sparimpuls. Wer weiß, vielleicht war die als Aprilscherz gedachte Meldung des Merkurist näher an der Wahrheit als beabsichtigt. Die Internetzeitung berichtete zum 01. April 2016, das Land stoppe den Bau der nun 190 Millionen Euro teuren Mainzelbahn.

Abermals haben Stadtwerke und MVG eine wenig seriöse Kalkulation präsentiert. Das gescheiterte Mainzer Kohleheizkraftwerk wäre womöglich ein drittes Großprojekt dieser Reihe geworden, wäre es nicht am Widerstand von 40.000 von Vernunft Geprägten Bürgerinnen und Bürgern gestoppt worden, die vor ein paar Jahren rechtzeitig und wirksam ihre Einwendung zum Ausdruck brachten.

Auf Bürgerkosten lassen es die Mainzer Stadtwerke unter Detlev Höhne gerne knacken. Bildrechte: TheDigitalArtist auf Pixabay 1012625_1920

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