Landau/Pfalz | analogo.de – Chemiekonzerne produzieren Pestizide mit einem weltweiten Umsatz von 47 Milliarden Euro pro Jahr. Landwirte und Weinbauern bringen diese auf ihre Felder, Obstplantagen und Weinbergslagen aus. Nach Niederschlagsereignissen landet ein großer Teil der Pestizide oft konzentriert in Gewässern. Für aquatische Organismen in diesen Gewässern bedeutet die hohe Konzentration oft der Tod. Landauer Umweltwissenschaftler haben nun mit einer Metastudie das Artensterben aufgrund Pestizideinträgen quantifiziert. Die Ergebnisse sind alarmierend.
Deutsche Verbraucher kaufen Aldi- und Lidl-Gemüse, welches von großen landwirtschaftlichen Monokulturen stammt. Große Rapskulturen versprechen demselben Verbraucher „umweltschonenden“ Bio-Diesel und Bio-Ethanol, doch der Raps wurde reichlich mit dem Herbizid Glyphosat behandelt. Die großen auf Ertragsmaximierung geeichten Agrarflächen zeichnen sich gerade nach Niederschlagsereignissen durch einen ungehinderteren Ablauf pestizid-angereicherten Wassers aus. Die von deutschen Landwirten eingesetzten Insektizide, Herbizide oder Fungizide im Weinbau landen häufig in kleineren Bächen (z. B. Gewässer 3. Ordnung). Zwar bauen sich innerhalb einer Woche viele Pestizide ab, aber in dieser Zeit töten sie Tiere.
Wissenschaftler des Instituts für Umweltwissenschaften der Universität Koblenz-Landau haben erstmals umfangreiche globale Daten der Insektizidbelastung von Gewässern mit den für die jeweiligen Insektizide durch die Behörden definierten maximal akzeptablen Konzentrationen verglichen. Alarmierend ist vor allem die Häufigkeit, mit der Gewässer weltweit und in Deutschland über den behördlich erlaubten Insektizid-Konzentrationen lagen: In über 40% der Wasserproben. Und dabei heißt es in der Pressemeldung der Universität, dass diese Zahl nur die gefundenen Konzentrationen beschreibt.
Bei Sedimenten, den Ablagerungen am Gewässergrund, für die häufig weniger bindende behördlich festgelegte Werte vorliegen, waren über 80% der Messwerte inakzeptabel hoch. Diese Ergebnisse zeigen, so die Forscher, dass Insektizide eine signifikante Gefahr für die Biodiversität in Gewässern weltweit darstellen und dass die behördliche Risikobewertung für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln offensichtlich keinen ausreichenden Schutz bietet.
Risiken höher als erwartet
Insgesamt stellt die Studie die aktuelle Risikobewertung von Insektiziden grundsätzlich infrage und weist auf zu erwartende flächendeckende negative Einflüsse der gemessenen Belastungen auf die Biodiversität von Gewässern hin. „Neben Schwächen bei der Risikobewertung, kommen nicht eingehaltene Auflagen beim Ausbringen von Pestiziden auf der landwirtschaftlichen Fläche als Gründe in Betracht“, erklärt Ralf Schulz, einer der Autoren der Studie. Nur eine generelle Reform der Landwirtschaft und ein verstärkter ökologischer Anbau würden auf globaler Ebene die Sicherstellung der Ernährung einer wachsenden Bevölkerung bei gleichzeitiger Reduktion der negativen Einflüsse der auf den Einsatz von Pestiziden basierenden intensiven Landwirtschaft auf Ökosysteme, wie Gewässer, ermöglichen.
Pestizide werden generell vor der Zulassung einem umfangreichen Risikobewertungs- und Zulassungsverfahren durch die zuständigen Behörden unterzogen. Damit soll unter anderem ausgeschlossen werden, dass es bei ihrer Anwendung in der Landwirtschaft zu negativen Auswirkungen auf Gewässer, andere Ökosysteme oder auch den Menschen kommt. Im Rahmen dieses Zulassungsverfahrens wird für jedes Pestizid eine Konzentration festgelegt, die als unbedenklich einzustufen ist, bei der also beispielsweise keine negativen Auswirkungen auf ein Gewässer und die darin lebenden Organismen zu erwarten sind. Damit diese Konzentration auch in der Praxis nicht überschritten wird, müssen Landwirte bei der Ausbringung von Pestiziden oftmals Auflagen einhalten, zum Beispiel einen Mindestabstand von bis zu 20 m zum nächsten Gewässer. Nur unter der Annahme der Einhaltung dieser Auflagen werden viele Pestizide in der EU oder in den USA zugelassen. Die im Rahmen des Zulassungsverfahrens als unbedenklich eingestuften maximalen Umweltkonzentrationen haben allerdings nicht den Charakter eines Grenzwerts, da davon ausgegangen wird, dass sie aufgrund der vermeintlich schutzbietenden Risikobewertung und der Auflagen für die Ausbringung von Pestiziden in der Praxis nicht überschritten werden.
Auf der Grundlage von 838 Studien haben die Wissenschaftler insgesamt 11.300 Fälle identifiziert, in denen ein Insektizid in einem Gewässer gemessen wurde. In dieser Metaanalyse der wissenschaftlichen Literatur aus Zeitschriften mit peer-review wurden 28 verschiedene Insektizide berücksichtigt, von denen der größte Anteil in der EU oder den USA auch aktuell noch zugelassen ist. Insgesamt stammen die Gewässerkonzentrationen von über 2500 Probestellen aus 73 verschiedenen Ländern und wurden zwischen 1962 und 2012 in der wissenschaftlichen Literatur veröffentlicht: 8.166 Konzentrationen stammen aus Wasserproben und 3.134 aus Sedimentproben von Gewässern. Für diese Wasser- und Sedimentproben lagen mehr als 52% der Messwerte (5.915 Proben) aus dem Freiland über den maximal akzeptablen Konzentrationen. An 68,5% der betrachteten Probestellen wurde eine Insektizidkonzentration im Gewässer festgestellt, die gemäß Zulassungsverfahren eigentlich nicht vorkommen dürfte. Teilweise lagen die gemessenen Werte um den Faktor 10.000 höher als gemäß Zulassungsverfahren maximal vertretbar. Die Folgen für die Gewässer sind enorm, selbst bei den gemäß Zulassungsverfahren noch als unbedenklich einzustufenden Insektizidkonzentrationen wird die Biodiversität der Gewässerorganismen bereits um etwa 30% reduziert.
Tatsächliche Situation wahrscheinlich noch dramatischer
Die Landauer Umweltwissenschaftler führen in ihrer Studie auch zahlreiche Gründe an, warum die tatsächliche Situation im Freiland vermutlich sogar durch noch höhere Belastungswerte gekennzeichnet ist, als die ausgewerteten Daten nahelegen. Insgesamt beschreiben die bisher vorhandenen und in der Metaanalyse zusammengetragenen Daten nur einen geringen Teil der weltweit vorhandenen landwirtschaftlichen Flächen: Für etwa 90% liegen keine Messdaten für Gewässer vor. So gibt es keine Werte für Russland oder große Teile Afrikas und Südamerikas. Selbst in belasteten Gewässern ist die vorhandene Insektizidbelastung oftmals nur für sehr kurze Zeiträume im Jahr tatsächlich messbar. Diese Belastungsspitzen können aber aufgrund der Toxizität der Insektizide und ihrem über Jahre hinweg regelmäßigen Auftreten die Gewässerlebensgemeinschaften dauerhaft verändern. Weiterhin wurden in über 80% der Proben, die auf mehrere Pestizidwirkstoffe untersucht wurden, tatsächlich mehrere Wirkstoffe – teilweise über 30 Wirkstoffe in einer Probe – gleichzeitig nachgewiesen. Die negativen Auswirkungen dieser Pestizidmischungen, die in der behördlichen Zulassung von einzelnen Pestiziden nicht berücksichtigt werden, können dabei deutlich über den von einzelnen Wirkstoffen liegen. Die Organismen im Gewässer reagieren insgesamt sehr empfindlich auf Insektizidkonzentrationen, die weit unterhalb der Werte liegen, die z.B. als Grenzwerte für Trinkwasser festgelegt werden. Tatsächliche Grenzwerte für Insektizide in Oberflächengewässern gibt es allerdings lediglich für sehr wenige Wirkstoffe.
Die Analyse, die aktuell in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America erschienen ist, ist auch der Frage nachgegangen, ob neuere Insektizidwirkstoffe im Gegensatz zu älteren Wirkstoffen ein geringeres Umweltgefährdungspotential aufweisen. Das Gegenteil war der Fall: Neuere Wirkstoffe, wie die heute vielfach eingesetzten synthetischen Pyrethroide, zeigen in 66% der Wasserproben Werte, die höher lagen als die nach den Zulassungsdaten akzeptablen Maximalkonzentrationen. Bei vergleichsweise alten Wirkstoffgruppen, wie die aus anderen Gründen inzwischen weitestgehend vom Markt genommenen Organochlorinsektizide, liegt diese Rate nur bei 24% der Proben. Das Risiko für Gewässer ist also im Laufe der vergangenen Jahrzehnte gestiegen. Auch die seit Anfang der 1990er Jahre etablierten restriktiven Bewertungs- und Zulassungsverfahren in der EU oder den USA haben in dieser Hinsicht keinerlei feststellbare Verbesserung erbracht. Bei genauer Betrachtung zeigte sich, dass in Ländern mit vergleichsweise liberaler Umweltgesetzgebung und geringer Regulierung (z.B. in Afrika, Asien) etwa 42% der Wasserproben inakzeptable hohe Insektizidkonzentrationen aufwiesen. In Ländern mit eher anspruchsvoller Umweltgesetzgebung, wie den USA, Kanada, Deutschland, Japan oder Australien war dieser Wert mit 40% erstaunlicherweise kaum geringer.
In Deutschland kaum wissenschaftlich fundierte Informationen
Aus Deutschland konnten insgesamt 138 gemessene Insektizidkonzentrationen in der Studie berücksichtigt werden. Dies ist eine relativ geringe Anzahl von Messwerten, die zeigt, dass in Deutschland zur Pestizidbelastung von Gewässern in der Landwirtschaft kaum wissenschaftlich fundierte Informationen vorliegen. Von diesen 138 Werten lagen sogar rund 80% über den gemäß Zulassungsverfahren als akzeptabel einzustufenden Konzentrationen. Erklären lässt sich diese eher hohe Belastung mit der Tatsache, dass vergleichsweise kleine Gewässer untersucht wurden und hierbei Methoden angewandt wurden, die selbst kurzzeitige Belastungsspitzen im Gewässer relativ gut erfassen können. Eine Anwendung dieser effektiven Messmethoden auch in anderen Ländern würde daher sehr wahrscheinlich auch dort eine deutlich höhere Gewässerbelastung durch Insektizide ergeben. Für die verantwortlichen Politiker gibt es offensichtlich einen schleunigen Handlungsbedarf, den Zulassungsprozess von Pestiziden auf eine Weise zu verändern, der das Artensterben auf ein Minimum reduziert. Jeder Tag zählt.
Das Institut für Umweltwissenschaften Landau betreibt grundlagen- und anwendungsorientierte Forschung, in deren Fokus die vielfältigen Interaktionen zwischen Mensch und Umwelt stehen. Das Institut vereint die Expertisen von neun interdisziplinären Arbeitsgruppen damit aktuelle Forschung vom Molekül über Ökosysteme bis zur menschlichen Gesellschaft. Das Institut für Umweltwissenschaften Landau wurde 2004 an der Universität Koblenz-Landau, Campus Landau gegründet.
Weitere Informationen erhält man unter: www.uni-koblenz-landau.de/de/landau/fb7/institute/umweltwissenschaften