Berlin / Washington | analogo.de – Gehörst Du zu den 700 Deutschen, die im Jahre 2013 im Internet den Mund aufgemacht haben oder sich erdreistet haben auf www.campact.de oder einer anderen Plattform für das Wohl Edward Snowdens zu unterschreiben? Dann plane besser keine Reise in die USA. Denn dort wird Dir mit hoher Wahrscheinlichkeit die Einreise verweigert. Lese die Metastudie von analogo.de.
Einreiseverweigerungen sind derzeit in Mode. Der Chef des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Manfred Schmidt berichtet, dass 94.000 nicht-deutschen Asylbewerbern eine Wiedereinreise-Sperre nach Deutschland droht, nachdem sie versucht haben nach einer Ablehnung ihres Asylantrages mehrfach wieder einzureisen.
Russland verweigerte dem CDU-Politiker Karl-Georg Wellmann die Einreise, nachdem dieser das russische Vorgehen im Ukraine-Krieg kritisiert hatte. Wellmann vermutet eine geheime Sanktionsliste der Russen als Revanche für die EU-Sanktionen gegen russische Staatsbürger. Während sich der deutsche Staat so fleißig um aktive Embargos kümmert, verwundert es bzgl. des Zeitgeistes nicht weiter, dass an anderer Stelle deutschen Staatsbürgern derselbe Wind der Abschottung entgegenweht, wenn auch aus anderen Gründen.
Seit einigen Jahren wird immer mehr Deutschen die Einreise in die USA verweigert. Auf eine nachvollziehbare Begründung warten die Urlauber vergeblich. Die TTIP-Expertin des Kampagnen-Netzwerkes campact, Maritta Strasser, berichtete analogo.de, dass sie das Verhalten der US-Einreisebehörden als feindselig und unberechenbar erlebt habe und dass ihr die Einreise aus politischer Willkür verweigert worden sei. Strasser hatte zuvor Kritik am transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP und an den Überwachungen deutscher Bürger durch den US-Geheimdienst NSA geübt. Ohne Angabe von Gründen verweigerten die USA der Politikerin die Einreise und ließen sie auf den Kosten für das Visa-Waiver-Programm ESTA (Electronic System for Travel Authorization) und den Visums-Antrag von 134 Euro sitzen. campact-Geschäftsführer Felix Kolb dazu in der Pressemeldung: “Die USA versuchen offenbar jetzt schon mit Einreiseverboten den Widerstand der Zivilgesellschaft gegen das Freihandelsabkommen zu brechen und mit Schikanen Aktivisten einzuschüchtern. Damit greift das Mutterland der Demokratie zu Methoden, wie sie sonst nur autokratische Staaten kennen.“ Strasser fragt weiter: „Was bleibt eigentlich von der Meinungsfreiheit, wenn man dafür mit seiner Reisefreiheit bezahlen muss? Wir verteidigen zusammen mit unseren US-amerikanischen Partnern unsere Demokratie gegen NSA-Überwachung und Klagerechte von Konzernen im TTIP-Abkommen – und werden dafür zu ‚unerwünschten Personen‘ erklärt.“
Politische Einreiseverweigerung für deutsche Demokraten
Aber Einreisesperren und Aufenthaltsverbote für deutsche Bürgerinnen und Bürger stören Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht die Bohne, forciert sie doch im täglichen Geschäft aktiv Konflikte in Bezug auf die Völkerverständigung. Eine kleine Anfrage der Partei Die Linke im Bundestag wurde abgewinkt, man sehe keine Veranlassung für Aktionen. Was tun angesichts der offenen Feindseligkeit der Vereinigten Staaten von Amerika gegen deutsche Demokraten?
analogo.de befragte die Landesregierung von Rheinland-Pfalz, wie sie sich diesbezüglich für ihre Bürger einsetzt. Denn am 17. Juli 2015 rief Ministerpräsidentin Malu Dreyer pressewirksam dazu auf, die Meinungs- und Pressefreiheit gemeinsam zu schützen. Dreyer betonte, dass es leider viel zu viele erfolgreiche Versuche überall auf der Welt gebe die Freiheit zu beschneiden. Deshalb müssen wir, so die SPD-Politikerin, alles dafür tun, dass die Freiheit des Gedankens und des Wortes, die Meinungs- und Pressefreiheit, erhalten und gefördert werde. Es seien schließlich die elementarsten Grundrechte.
Was bedeuten diese Worte der SPD-Kandidatin hinsichtlich der bevorstehenden Landtagswahl 2016, wenn einerseits Bürgerinnen und Bürgern von Rheinland-Pfalz willkürlich die Einreise in die USA verweigert wird, andererseits Rheinland-Pfalz die höchste US-Militärdichte in Europa hat? Regierungssprecherin Monika Fuhr ließ analogo.de wissen, dass die Vertreterinnen und Vertreter der Landesregierung einen regelmäßigen Kontakt zu Vertreterinnen und Vertretern der amerikanischen Regierung pflegen. So gebe es „Austausche“ mit dem Botschafter, dem Generalkonsul, mit den Militärs und auf der wirtschaftlichen Ebene. Sollten konkrete Fälle bekannt werden, so Fuhr, würden diese gegenüber den Vertreterinnen und Vertretern der amerikanischen Behörden angesprochen.
Doch ist das Netz voll von Berichten, wo US-Behörden deutschen Touristen trotz ESTA-Waiver kurz vor der Einreise willkürlich die Einreise verweigern. Unsere Recherche zeigt, dass vor allem deutsche Bürgerinnen und Bürger betroffen sind, die zuvor Unterzeichner einer Petition bei Organisationen wie campact waren und dort z. B. im Sinne Edward Snowdens oder gegen das Handelsabkommen TTIP unterschrieben haben. Trotz der offensichtlichen Einreisezusage verweigern die US-Behörden einer nicht unerheblichen Anzahl von deutschen Touristen die Einreise, indem sie z. B. die ESTA-Genehmigung kurz vor dem Einsteigen ins Flugzeug widerrufen. Da die Versicherungen nicht zahlen, bleiben die deutschen Touristen auf den Kosten für Flugtickets und Visa-Antragsgebühren sitzen. Kaum auszudenken, deutsche Behörden würden ebenso willkürlich mit einreisenden US-Amerikanern umgehen.
Finanzielles Risiko zu hoch
Eine Reise in die USA ist zum unkalkulierbaren Risiko geworden. Die Folgen einer Buchung sind nicht mehr absehbar. Zumindest gilt dies für mutige Politiker und Demokraten.
Duckmäuser und unpolitische Apathiker haben dagegen tendenziell nichts zu befürchten. Hat man zuvor gar durchgängig digitale Selbstzensur betrieben, wird die Einreise in die USA kalkulierbar. Nach der Überzeugung Albert Einsteins, dass man vor allem ein Schaf sein muss, um ein tadelloses Mitglied einer Schafherde zu sein, bringt die Zurückhaltung in puncto Meinungsfreiheit Pluspunkte bei der Qualifizierung zum tadellosen deutschen Reiseschaf. Nach offiziellen Angaben von Bundesregierung und US-Konsulat gibt es nach wie vor weitaus mehr Einreisegenehmigungen als Verweigerungen. Na dann! Wurden im Jahre 2008 angeblich 115 deutschen Staatsangehörigen die Einreise „wegen eines kriminellen und staatsschutzrelevanten Hintergrunds“ verweigert, stieg die Zahl laut Informationen der Frankfurter Rundschau im Jahre 2013 bereits auf 700. Die wahre Zahl dürfte weitaus höher liegen. Dies beweisen die aktuellen Stichprobenergebnisse aus Medienberichten.
Die goldenen Reisezeiten zwischen 1975 und 2010 scheinen vorüber zu sein. 1975 eröffnete die erste Boeing 747 das massenhafte Reisen in ferne Länder. Ein neues Zeitalter der Völkerverständigung und der Globalisierung schien angebrochen. Es währte nur 35 Jahre, und wurde von den neuen Phantasmen Krieg und Misstrauen abgelöst. Brachten die Amerikaner der Welt neben der B747 auch das Internet, nutzen sie letzteres nun zur gezielten Überwachung ihrer „Schäfchen“. Gottgleich und als Richter über die Völker tritt der überreagierende Staatsapparat der USA heute auf. Sein Sicherheitswahn formt passive Kleinbürger und attackiert ganz gezielt aktive Demokraten.
Ein bisher unter Verschluss gehaltenes Dokument der US-Einwanderungsbehörde zeigt auf, aus welchen Datenbanken sich die sogenannte No-Fly-Liste speist. Die Webseite The Intercept veröffentlichte die geheimen Kriterien, wie man sich für die USA als Terrorist und Verdächtiger qualifiziert. Letzte Woche berichtete die 20-Jährige Aimee Schneider dem Spiegel, dass sie sich auf dem Flughafen von Philadelphia wie eine Staatsfeindin und Schwerverbrecherin vorkam, als man sie bei der Passkontrolle herausfischte, ihr Gepäck durchsuchte, drei Stunden lang in einem separaten Raum ruppig verhörte, ihr Handy konfiszierte, private Facebook-Einträge durchforstete, unter Eid aussagen ließ und sie anschließend zum Flugzeug zurück eskortierte, damit sie das Land verlässt. Schneider musste sich wie ein abgeschobener Flüchtling in Deutschland fühlen. Sie landete auf der Selectee List, auf der Reisende gesammelt werden, die womöglich noch das Flugzeug besteigen dürfen, aber am Einreiseschalter oder in der Verhörzelle ausgiebig befragt werden. Wie man auf dieser Liste landet, berichtet Zeit Online.
Auch kritische deutsche Gewerkschafter zählen in den USA zu den unerwünschten Personen. Die Stiftung des Deutschen Gewerkschaftsbundes Hans-Böckler-Stiftung berichtet ausführlich, wie ein Mitarbeiter auf Veranlassung der US Homeland Security nicht einmal das Flugzeug in Berlin besteigen durfte. Lukas Franke war mit Vertretern der US-Gewerkschaft UAW in Detroit für eine Reportage verabredet. Die „offiziellen“ Gründe erfuhr er aber nie, und natürlich blieb er auf den Kosten sitzen. Der Bericht analysiert wunderbar, welchen Informationsvorsprung der digital hochgerüstete Staat gegenüber den generalverdächtigen und gutgläubigen Reisenden hat. Es zeigt sich immer deutlicher, wie verhängnisvoll etwas werden kann, was heute noch als bedeutungslose Information erscheint.
Da unser angeblicher Freund USA versucht die Einreisebestimmungen von Russland und dem Iran an Schärfe zu überbieten, kann derzeit vor einer Einreise nur gewarnt werden. Leider verschweigt auch das Auswärtige Amt jede Information zu den oben geschilderten Risiken.
Die Risiken für die eigenen Finanzen und den Verlust der eigenen Würde beim Einreiseprozedere sind einfach zu hoch.