Ulrike Höfken im Exklusiv-Interview mit analogo.de

Mainz, Berlin | analogo.de – In geradezu britischer Bescheidenheit kündigte Ulrike Höfken am 28. Januar 2015 über den Onlinedienst Twitter an: „Rheinland-Pfalz hat jetzt auch einen Nationalpark – der Landtag hat eben grünes Licht gegeben!“. Was als Bescheidenheit daher kam, war in Wahrheit eine Sensation. Denn in diesem waldreichen Teil Südwest-Deutschlands gab es zuvor noch keinen einzigen Nationalpark. Bescheiden ist allenfalls seine Größe, dessen Fläche in etwa so groß ist wie das Stadtgebiet der Landeshauptstadt Mainz. Der analogo.de LONG READ.

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Gestern noch als Delegierte für Deutschland in Peru auf der UNO-Klimakonferenz, heute im Bundesrat als Mitglied und Vorsitzende des Ausschusses für Agrarpolitik und Verbraucherschutz und morgen im Mainzer Landtag: Ulrike Höfken hat sich ihr Ministergehalt redlich verdient. Allen Endzeitpropheten zum Trotz veranschaulicht sie mit der aktuellen Koalition aus SPD und Bündnis90-Die Grünen, wie ein fünf Jahre altes text-gesättigtes Landtags-Wahlprogramm aus dem Jahre 2011 durch Erfindungsreichtum, Selbstverantwortung und Freiheitsgeist in konkrete Maßnahmen umgesetzt werden kann. Nach Max Weber bedeutet Politik das Bohren dicker Bretter, und Umweltpolitik ist häufig ein ganz dickes. Denn nicht nur ist die Umwelt an sich ein sehr komplexes Systemgeflecht, sondern es sind i. d. R. auch viele Menschen und somit Interessenslagen betroffen.

Im Exklusiv-Interview mit analogo.de zieht die Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten von Rheinland-Pfalz ein Resümee der bisherigen Legislaturperiode und zeigt ganz aktuell auf, mit welchem Trick das Gespann USA/EU-Kommission über das geheim verhandelte Handelsabkommen TTIP deutschen Konsumenten durch die Hintertür gentechnisch veränderte Lebensmittel bescheren will: Bei gentechnisch veränderten Lebensmitteln sollen kaufentscheidende Information in Barcodes versteckt werden. An anderer Front signalisiert gerade die CSU mit Bundesagrarminister Christian Schmidt, Genfood bald bundesweit zu erlauben. Die Bundesländer könnten es angeblich selber regeln. CDU/CSU kämpfen hier also mit EU-Kommission und der USA in konzertierter, dezentraler und teilweise geheimer Aktion gegen den Willen der Bevölkerung. Höfken hält dagegen: „Damit unsere Felder auch in Zukunft gentechnikfrei bleiben, setzen wir uns auf Grundlage des von der EU beschlossenen Selbstbestimmungsrechts für nationale Anbauverbote von Genpflanzen ein.“ Auch wenn sich der irische EU Agrarkommisar Phil Hogan offiziell gegen den Genfood-Vorschlag der Amerikaner wendet, mit Christian Schmidt haben die Amerikaner einen starken Mitstreiter.

Zwei andere dicke Bretter sind die Initiative von Rheinland-Pfalz zur Nanotechnologie u. a. in Bezug zur Lebensmittelsicherheit und die schlechte Grundwasserqualität in Rheinland-Pfalz. Nanopartikel aus industrieller Produktion sind teilweise kleiner als Blutmoleküle und können tief in die Lunge und von dort ins Blut gelangen, sich in Organen anreichern und sogar Barrieren wie die Blut-Hirn-Schranke und die Plazenta über­winden. Eine Regelung und Kontrollmöglichkeit für Nanoprodukte ist dringendst erforderlich, da die Unternehmen bereits die Märkte mit Nanoprodukten fluten, obwohl die Risiken noch nicht erforscht sind. Das Thema Grundwasser emotionalisiert weniger als das Thema Nano, liegen Grundwasser Verweilzeiten „unter Tage“ doch mitunter bei einigen Jahren. Konkrete Maßnahmen von Rot-Grün zur Wasserqualität mittels Gewässerrandstreifen und Nitratsenkungsprogrammen werden also zeitverzögert greifen. Auch wenn der Nutzen für die Menschen nicht unmittelbar greifbar erscheint, Höfken resümiert insgesamt: „Wir haben viel geschafft in den zurück liegenden Jahren“, und kündigt an, den erfolgreichen Umweltkurs von Rot-Grün nach der Landtagswahl im nächsten Jahr 2016 fortsetzen zu wollen.

analogo.de: Seit ca. 3,6 Jahren sind Sie Umweltministerin von Rheinland-Pfalz.  Durchschnittlich ebenfalls 3,6 Jahre braucht man laut Weltbankbericht 2013 in Sri Lanka für das Eintreiben einer Schuld auf gerichtlichem Wege. Sind Sie mit dem Umsetzungstempo rot-grüner Ideen in Rheinland-Pfalz zufrieden?

Ulrike Höfken: Ja, das bin ich. Wir haben viel geschafft in den zurück liegenden Jahren. Ein Großteil des  Programms, dass wir uns im Koalitionsvertrag vorgenommen haben, ist in trockenen Tüchern. Aus meinem Bereich gilt das zum Beispiel für den Nationalpark Hunsrück-Hochwald, den wir im Rahmen eines einmaligen Beteiligungsprozesses gemeinsam mit der Region auf den Weg gebracht haben. Wir haben den zweckgebundenen Wassercent eingeführt, um die Gewässer besser schützen zu können. Gemeinsam mit der Landwirtschaft haben wir das Programm „Gewässerschonende Landwirtschaft“ initiiert, um die Nitratbelastung im Grundwasser zu reduzieren. Wir haben die Initiative „Rheinland-Pfalz isst besser“ und damit zahlreiche Projekte zur Ernährungsbildung gestartet. Das sind nur einige Beispiele, die zeigen, dass Rheinland-Pfalz grüner und nachhaltiger geworden ist.

analogo.de: Im Dezember 2014 nahmen Sie als Delegierte an der 20. UNO-Klimakonferenz in Lima teil. Die Ergebnisse waren für viele Teilnehmer weniger erfreulich als erwartet. Welche Vorteile haben die Menschen in  Entwicklungsländern von dieser Konferenzreihe?

Ulrike Höfken: Sicherlich ist das Ergebnis des Klimagipfels in Lima kein Anlass zur Euphorie. Aber es wurde ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem weltweiten Klimaabkommen 2015 in Paris unternommen, der alle Möglichkeiten offen lässt. Natürlich trifft der Klimawandel insbesondere die Armen in den Entwicklungsländern, die wenig zum Klimawandel beigetragen haben. In Lima war deshalb der  Grüne Klimafonds, der finanzielle Mittel für die Reduktion von Treibhausgasen und für Anpassungsmaßnahmen in Schwellen- und Entwicklungsländern bereitstellen soll, ein wichtiges Thema. Ein beachtlicher Erfolg und positives Signal ist, dass im Rahmen des Klimagipfels  10 Milliarden US-Dollar für die Erstausstattung eingezahlt wurden. Leider konnten die Grundkonfliktlinien zwischen Industrie- und Entwicklungsländern in Lima nicht aufgelöst werden. Die Herausforderung bis Paris besteht darin, die  Vereinbarungen zur Vergleichbarkeit der nationalen Klimaschutzmaßnahmen wie zum Beispiel zur Reduktion des Co2-Ausstoßes  weiter zu schärfen und auszuarbeiten. Aus meiner Sicht gibt es keine Alternative zu weltweiten Klimakonferenzen, denn globale Probleme wie der Klimawandel sind nicht von oben nach unten oder nur durch Experten zu entscheiden, sondern 200 Länder müssen mitgenommen werden.

analogo.de: Abgesehen von den drei Küstenparks an Nordsee und Ostsee ist der größte Nationalpark Deutschlands ganze 322 km² groß. Das entspricht gerade mal einer Fläche von ca. 18 x 18 Kilometer. Mit welcher Größe planen Sie den ersten Nationalpark in Rheinland-Pfalz Hunsrück-Hochwald?

Ulrike Höfken: Der Nationalpark Hunsrück-Hochwald wird rund 100 Quadratkilometer groß sein und entspricht somit den internationalen Kriterien. Ein Zehntel der Fläche befindet sich auf saarländischem Gebiet. Wir sind vor allem stolz darauf, dass dieser Nationalpark im Rahmen eines breiten Beteiligungsprozesses gemeinsam mit der Region entsteht. Dies ist ein bedeutender Beitrag zur Umsetzung der nationalen Biodiversitätsstrategie. Mit dem Nationalpark schaffen wir Raum für Natur und Wildnis, gleichzeitig bietet das Projekt eine Entwicklungsperspektive für diese ländliche Region im Hunsrück.

analogo.de: Ein Drittel des Grundwassers in Rheinland-Pfalz ist zu stark mit Nitraten aus landwirtschaftlicher Düngung belastet. Dabei ist der deutsche Grenzwert bereits einer der weltweit höchsten. Trägt die für die Düngeverordnung zuständige und von der CDU dominierte Bundesregierung wesentlich dazu bei, dass Rheinland-Pfalz die Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie 2015 nicht erreichen kann?

Ulrike Höfken: Der Stickstoffgehalt liegt sogar bei 39 Prozent der Grundwasservorkommen in Rheinland-Pfalz über dem europäischen Grenzwert von 50 Milligramm pro Liter. Wir haben noch bis 2027 Zeit, die europäische Wasserrahmenrichtlinie umzusetzen. Dazu gehört auch die Senkung der Nitratwerte im Grundwasser. Eine wesentlich Quelle des Nitrats ist die Landwirtschaft. Der wichtigste Hebel zum Schutz unseres Wassers ist die aktuelle Novellierung der Düngeverordnung. Allerdings ist der Entwurf, den die Bundesregierung vorgelegt hat, tatsächlich  unzureichend. Wir setzen uns dafür ein, dass die Regeln für die landwirtschaftliche Düngung verschärft werden, damit die Nährstoffe in unseren Gewässern deutlich verringert werden. Darüber hinaus haben wir wie gesagt in Rheinland-Pfalz gemeinsam mit der Landwirtschaft das Programm „Gewässerschonende Landwirtschaft“ gestartet.  Ziel ist ein sparsamerer Einsatz von Nährstoffen. Davon profitiert nicht nur die Umwelt, die Landwirte können auch Geld sparen. Hier sind wir auf einem guten Weg.

analogo.de: Sehen Sie Möglichkeiten die Wasserqualität der Gewässer in Rheinland-Pfalz zu verbessern, indem Weinbau und Landwirtschaft breitere Gewässerrandstreifen schaffen?

Ulrike Höfken: Gewässerrandstreifen dienen als Puffer zwischen Acker oder Weinberg und Gewässer. Sie sollen verhindern, dass Pestizide und Düngemittel in die Gewässer gelangen. Dieses Instrument wollen wir künftig noch konsequenter einsetzen und haben deshalb bei der aktuellen Novellierung des Landeswassergesetzes eine neue Regelung vorgesehen. Demnach kann künftig im Einzelfall auch der Einsatz von Pflanzenschutz- und Düngemitteln verboten werden.

analogo.de: Woran liegt es, dass der organisch-biologische Weinbau mit 4% Anteil in Rheinland-Pfalz auf solide niedrigem Niveau bleibt?

Ulrike Höfken: Immerhin liegt der Anteil des Ökoweins in Rheinland-Pfalz bei über fünf Prozent, Tendenz steigend. Im Bundesvergleich sind wir auf diesem Feld Spitze. So stehen in Rheinland-Pfalz mit rund 4900 Hektar rund 70 Prozent der Öko-Rebfläche Deutschlands –  und immer mehr Winzer steigen um. In den vergangenen drei Jahren ist die Öko-Rebfläche um 30 Prozent gewachsen. Inzwischen produzierten rund 400 Weinbaubetriebe im Land nach den Öko-Kriterien. Die Nachfrage nach Ökowein steigt und das Marktpotenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft. Die Landesregierung setzt sich deshalb mit Nachdruck dafür ein, die Rahmenbedingungen für den ökologischen Anbau weiter zu verbessern und die Betriebe in die Lage zu versetzen, diese Chance wahrzunehmen. Schließlich dient der ökologische Anbau nicht nur der Umwelt und dem Erhalt der natürlichen Artenvielfalt. Auch die konventionellen Betriebe könnten von den innovativen Ansätzen einer umweltgerechten Bewirtschaftung profitieren.

analogo.de: Ein Blutmolekül Hämoglobin ist 7 Nanometer groß. Nanoclay Plättchen in Kunststoffprodukten dagegen sind oft nur 2 Nanometer klein. Angesichts etlicher bereits zugelassener Nano-Produkte, sind die Risiken der Nanotechnologie für Mensch und Umwelt zur Genüge erforscht?

Ulrike Höfken: Nein, das kann man leider nicht behaupten. Für viele Nanomaterialien sind die Risiken für Mensch und Umwelt noch nicht ausreichend erforscht. Stellt sich heraus, dass ein Nanomaterial schädlich für Mensch oder Umwelt ist, muss eine Übersicht vorhanden sein, die zeigt, wo welches Nanomaterial drinsteckt. Deshalb hat der Bundesrat auf Initiative von Rheinland-Pfalz die Bundesregierung aufgefordert, sich auf europäischer Ebene für die Errichtung eines Nanoprodukt-Registers einzusetzen. Dem vorausgegangen ist ein jahrelanger Dialog mit Industrie, Umweltverbänden, Umweltbundesamt und Bundesinstitut für Risikobewertung, der auch weiter geführt wird.

analogo.de: In Deutschland wird Vieh bereits mit gentechnisch verändertem Soja gefüttert. Verbraucher sind verunsichert, ob Gen-Lachs bereits im Handel ist oder eben nicht. Über welche Produktionsstufen konsumieren Verbraucher derzeit indirekt bereits genetisch veränderte Organismen?

Ulrike Höfken: Drei Viertel der Deutschen wünschen sich, dass die Gentechnikfreiheit von Lebensmitteln auf der Verpackung ersichtlich ist. Bisher wird diese Kennzeichnung in Europa aber leider nur halbherzig umgesetzt. Lebensmittel, die unmittelbar aus gentechnisch veränderten Organismen bestehen, müssen gekennzeichnet werden. Lebensmittel tierischer Herkunft wie Milch oder Fleisch, die mithilfe gentechnisch veränderter Futtermittel erzeugt wurden, sind dagegen nicht kennzeichnungspflichtig. Hier klafft eine Lücke, die derzeit nur über eine freiwillige nationale Regelung geschlossen werden kann. Rheinland-Pfalz setzt sich im Bund dafür ein, dass die gentechnikfreie Futtermittelerzeugung deutlich gestärkt  und die Kennzeichnung tierischer Produkte verbessert und verbindlich wird. Damit wir unabhängig werden von gentechnisch verändertem Sojafutter aus Übersee, ist darüber hinaus eine Eiweißstrategie dringend notwendig. Rheinland-Pfalz hat sich im Zuge der Umsetzung der EU-Agrarreform in Deutschland erfolgreich dafür eingesetzt, dass eiweißhaltige Pflanzen wie Bohnen, Erbsen oder Lupinen künftig auf ökologischen Vorrangflächen angebaut werden dürfen. Zudem fördert das neue Programm zur ländlichen Entwicklung Rheinland-Pfalz „EULLE“ den Anbau von so genannten Leguminosen.
Die Erzeugung gentechnikfreier Produkte ist eine Chance für unsere heimische Land- und Ernährungswirtschaft. Damit unsere Felder auch in Zukunft gentechnikfrei bleiben, setzen wir uns auf Grundlage des von der EU beschlossenen Selbstbestimmungsrechts für nationale Anbauverbote von Genpflanzen ein. Wir haben die Bundesregierung  aufgefordert, eine klare bundesweite Verbotsregelung auf den Weg zu bringen, damit in Deutschland kein Flickenteppich der Zulassungen entsteht. Dieses Gesetz muss dringend auf den Weg gebracht werden, um Sicherheit für die Verbraucher und unsere Bauern zu schaffen.

analogo.de: Mit BASF Plant Science und Alplanta sitzen in der Pfalz zwei starke Gegner Ihrer Politik gegen Grüne Gentechnik. BASF Plant Science hat angekündigt in die USA abzuwandern. Kommt die Grüne Gentechnik nun via TTIP und Brüssel nach Rheinland-Pfalz?

Ulrike Höfken: Das steht leider zu befürchten.  In den USA ist der Umgang mit gentechnisch veränderten Pflanzen und Lebensmitteln viel laxer als bei uns. Ein Alarmsignal ist die im Januar bekannt gewordene Tatsache, dass die USA im Zuge der TTIP-Verhandlungen vorgeschlagen haben,  bei gentechnisch veränderten Lebensmitteln kaufentscheidende Information in Barcodes zu verstecken. Das ist  ein Schlag ins Gesicht unserer Verbraucherinnen und Verbraucher, die Gentechnik auf dem Teller ablehnen.  Die Bundesregierung hat wiederholt beteuert, dass TTIP nicht zum Abbau von Verbraucher- und Umweltstandards führen würde: Jetzt muss sie unter Beweis stellen, dass dies nicht nur Lippenbekenntnisse sind.

analogo.de: Bis zu 9%  aller Männer und 0,8% aller Frauen haben eine Rot-Grün-Sehschwäche. Welche Visionen für Rheinland-Pfalz haben Sie angesichts der Landtagswahl 2016 für die kommende Legislaturperiode?

Ulrike Höfken: Diese rot-grüne Landesregierung hat viel voran gebracht und leistet gute Arbeit, das wird sich bei der Landtagswahl 2016 zeigen. Wir werden unsere rot-grüne Linie fortsetzen.

Exklusiv-Interview mit Ulrike Höfken und analogo.de. Bildrechte: Mohamed Hassan auf Pixabay 3265699_1280