Willkommen auf den Whistleblowing Seiten von analogo.de. Missstände von außen anzumahnen, ist keine Kunst. Als sogenannte Bellringer besorgen dies Journalisten, Politiker, Nichtregierungsorganisationen oder Behörden. Ein Bellringer läutet an der Haustüre und weist auf den Misstand hin. Der Hausbesitzer wird sich denken: OK oder nicht OK, und schließt die Türe.
Schwieriger wird es, wenn der Missstand innerhalb der Organisation nicht behoben werden konnte. Aus der Reihe der Personen innerhalb des Hauses nimmt jemand eine Pfeife, und bläst so lange, bis man den Ton außerhalb des Hauses hört. Whistleblower sind Menschen, die sich von innen heraus an die Öffentlichkeit wenden. Das wiederum geschieht oft zum Missfallen von anderen Personen in der Organisation, egal ob vom direkten Geheimnisträger oder von indirekten Geheimnisträgern, also Personen, die das Unrecht durch Nichtstun willentlich unterstützen. In der Konsequenz setzen Geheimnisträger Whistleblower Repressalien aus.
Die Europäische Union hat das Problem erkannt. Bis zum Jahr 2021 musste Deutschland die EU-Richtlinie 2019/1937 zum Schutz von Whistleblowern in nationales Recht umgesetzt haben. Deutschlands Politiker und Wirtschaft pfiffen auf die Vorgabe und der Bund wird zig Millionen Euro Strafe an die EU zahlen müssen.
Nach dem mittlerweile eingeführten Gesetz genießen in Deutschland alle Personen besonderen Schutz, die Verstöße gegen das Recht der Europäischen Union melden. Der abgesicherte Rechtsumfang umfasst die Gebiete öffentliche Gesundheit, öffentliches Auftragswesen, Finanzdienstleistungen, Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung, Produktsicherheit, Verkehrssicherheit, Umweltschutz, kerntechnische Sicherheit, Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit, Tiergesundheit und -schutz, Verbraucherschutz, Schutz der Privatsphäre und personenbezogener Daten sowie die Sicherheit von Netz- und Informationssystemen.
Womöglich noch wichtiger als dieser Teilschutz ist das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 21. Juli 2011 (Az: 28274/08). Seit dieser bahnbrechenden Entscheidung ist das allgemeine „Offenlegen von Missständen“ durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Und zweitens urteilte der EuGH, dass das „öffentliche Interesse an Informationen über Mängel“ das Interesse eines Unternehmens am Schutz seines Rufes und seiner Geschäftsinteressen überwiegt. Geklagt und gewonnen hatte die Whistleblowerin Brigitte Heinisch.
Dass Whistleblowing im öffentlichen Interesse kein Verbrechen ist, sondern vielmehr belohnungswürdige Zivilcourage, beziffert Artikel 5 der EU-Richtlinie 2016/943 zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen: Hier heißt es, dass die Offenlegung illegaler Aktivitäten nicht bestraft werden kann. Wie so oft, ist es das eine, Recht zu haben, weil das Gesetz es sagt. Und Recht bekommen, weil sich kriminelle Arbeitgeber, Firmen oder Behörden nicht daran halten, das andere. Also braucht es immer einen Präzedenzfall, bei dem das Recht eingeklagt wird.
Einzelne Gerichtsurteile zugunsten von Whistleblowern sind ein Tropfen auf den heißen Stein
Ein solcher erfolgreicher Präzedenzfall lieferte das Landgericht München mit ihrem Urteil vom 16. Januar 2019. Für alle Whistleblower errang der Sozialpädagoge Hermann Theisen einen Sieg. Konkret ging es gegen den Kriegswaffenhersteller Krauss-Maffei Wegmann. Als erstes deutsches Gericht überhaupt wandte das Gericht die EU-Richtlinie 2016/943 an, nachdem das niederrangige Amtsgericht noch zulasten Theisens beschied.
Kaum dass Whistleblower auf illegale Machenschaften hingewiesen haben, sammeln sich die Etablierten und stechen auf den Boten der schlechten Nachricht ein. So geschehen auch im Falle Stefan Kohn. Der Oberregierungsrat im Bundesinnenministerium hatte wegen offensichtlicher Gefahr in Verzug im Ministerium vorliegende Informationen an die Öffentlichkeit gegeben. In der Bundestagsdebatte vom 15. Mai 2020 versuchten aber Abgeordnete aller Fraktionen dem Mann das Attribut eines Whistleblowers abzusprechen. Obwohl die Rechtslage klar ist, sind Legislative (Parlamentarier) und Exekutive (Staatsanwaltschaften, Polizei, Geheimdienste, Behörden, Ministerien) so frech, und erkennen die Rechtslage nicht an. Guter Whistleblowerschutz ist es eben nicht mehr, dass Whistleblower erst Jahre später und nach einer Verschlechterung ihrer gesundheitlichen und sozialen Position, vor Gericht Recht bekommen.
Was sich CDUCSUSPDAFDGRÜNELINKEFDP am 15. Mai 2020 im Deutschen Bundestag leisteten, war eine Analogie zum fehlenden Whistleblowerschutz von Edward Snowden. In Deutschland und anderswo gefeiert, aber nicht beschützt, steht Snowden in den USA unter größter Anklage. Ihm droht zumindest das, was der Schurkenstaat USA mit Chelsea Manning anstellte. Dabei legte Snowden illegalste Staatsaktivitäten offen, nämlich die Massenüberwachung aller Bürger Deutschlands durch den – der deutschen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) direkt unterstellten Geheimdienst namens – Bundesnachrichtendienst (BND) und das US-Pendant National Security Agency (NSA).
Den einzigen wirksamen Whistleblowerschutz für Snowden gewährt ironischerweise Russland, der Lieblingsfeind der Amerikaner. Hier schützt also der angebliche Feind, dass deutsches Recht wirken kann. Der Fall Snowden beweist, dass wir eben in keinem Rechtsstaat leben, in der gemäß Artikel 2 des Grundgesetzes alle Menschen ein Recht auf körperliche Unversehrtheit haben. Nein, der Staat arbeitet aktiv gegen die körperliche Unversehrtheit ihrer Bürger, i.e. in diesem Fall die für die Gesellschaft so wichtigen Whistleblower.
USA vs. Europa
Was sich Whistleblower anhören müssen, zeigt der berühmte Fall des Rudolf Elmer. Ein Schweizer Richter beleidigte den integren Mann wie folgt: „Sie sind kein Whistleblower, sondern ein ganz gewöhnlicher Krimineller“. Als Compliance-Beauftragter der Privatbank Julius Bär hatte Elmer krumme Geschäfte seiner Bank angeprangert, und am Ende das Schweizer Bankgeheimnis aufgeweicht. Leider sind so häufig mutlose, herzlose und wissensunkundige Richter unterer Gerichtsinstanzen, die im „Namen des Volkes“ Fehlurteile sprechen. Unter Zumutung körperlicher Erkrankung verlangt der Staat in Form von Amtsrichtern den Whistleblowern ab, die nächste Gerichtsinstanz aufzusuchen, anstatt sich vorher ordentlich mit der Rechtslage vertraut zu machen.
Die Strategie der kriminellen Arbeitgeber in Form einer Bank, Firma oder Behörde ist immer dieselbe: Den Whistleblower vor den Kadi ziehen, ihn in jahrelange Prozesse verwickeln und seine Gesundheit zerstören. Der 2023 verstorbene Whistleblower Daniel Ellsberg legte eine geheime Studie des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums Pentagon offen (die ‚Pentagon Papers‘), die aufzeigten, wie die Regierungen der USA zwischen 1945 bis 1968 die Öffentlichkeit getäuscht hatten, was ihre Terror-Rolle in Vietnam betraf.
Ellsberg wurde zum Helden, ging wegen aller Belastungen gleichzeitig zum Psychiater. Um Ellsberg zu diskreditieren, ließ US-Präsident Richard Nixon in die Praxis von Ellsbergs Psychiater einbrechen, um die Krankenakte Ellsbergs zu stehlen. Nixon ließ Ellsberg auch überwachen und wurde am Ende aus dem Amt gejagt. Eine undenkbare Konsequenz in Deutschland, wo Regierungskritiker und Journalisten im Jahre 2024 wie selbstverständlich vom Geheimdienst BfV ausspioniert werden, wo Bundeskanzler wie Scholz oder Merkel als Chef der Ausspionierer aber nichts zu befürchten haben, von Leitmedien gar gedeckt werden.
Trotz Schurkenstaat-Status sind Demokratie und Gewissen in den USA einige Grade weiter entwickelt als im Terrorstaat Deutschland. In der EU können sich Staatschefs wie Helmut Kohl (CDU) mafiöse Ehrenwörter leisten. Der deutsche Fisch stinkt vom Kopf bis hinunter in die korrupten Justizapparate, die am Ende so Gangster wie Kohl oder Scholz laufen lassen.
Im Jubiläumsmagazin Nr. 50 der Londoner Organisation Index on Censorship sagt Ellsberg auf den Seiten 62 bis 65, jedes Jahr wenn nicht öfter sollte es einen Whistleblower-Fall in der Größenordnung der Pentagon Papers geben. Auf den Seiten 66 bis 68 schrieb ich im selben Magazin einen Bericht über den WikiLeaks-Fishrot-Whistleblower Jóhannes Stefánsson. Später hatten wir noch zusammen mit Daniel Ellsberg eine inspirierende Telefonkonferenz, seit Juni 2023 ist Daniel verstorben.
Die USA sind zwar ein international gefürchteter Schurkenstaat, haben aber eine widerstandsfähigere Öffentlichkeit als in Deutschland oder in der Schweiz. Es bleibt viel zu tun. Einer der ersten Schritte muss es sein, die Definition von Whistleblowing zu standardisieren. Denn die wenigen Beispiele auf dieser Seite zeigen, dass ein gestählerter Schutzmantel für Whistleblower nur dann Aussicht auf weitflächigen Erfolg hat, wenn die Angriffsoptionen der Kriminellen aufgeschlüsselt und die Rechte der Whistleblower eindeutig sind. analogo.de will dabei helfen, gesunde Whistleblowerprozesse ins Kulturgut Deutschlands zu integrieren.
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Ein paar ausgesuchte Beiträge zum Themenkreis Whistleblowing mit analogo.de Herausgeber Rainer Winters:
https://www.telepolis.de/features/Schnell-baut-der-Staat-Drohkulissen-auf-6157347.html?seite=all
https://www.telepolis.de/features/Die-Wirecard-Connection-deutscher-Behoerden-6261779.html
Failed State Germany: The German Authorities’ Wirecard Connection
Robert Bosch GmbH Leaves It to Whistleblowers to Hire a Lawyer
German Whistleblowers Help Make Millions for the US; Germany Goes Away Empty-Handed