Weltstar Andreas Scholl und Alessandro Tampieri betören auf Rheingau Musik Festival

Kloster Eberbach | analogo.de – Weltstar Andreas Scholl hat letzte Woche Freitag seine Zuhörer auf dem Rheingau Musik Festival abermals verzaubert. In der mystisch-gelb beleuchteten Klosterkirche des Kloster Eberbachs stand neapolitanische Barockmusik auf dem Programm. Begleitet wurde Scholl vom italienischen Orchester der Accademia Bizantina unter Leitung von Alessandro Tampieri. analogo.de verfolgte das Konzert und berichtet vom Ereignis.

Mehr Menschen dürften die Stimme Scholls kennen als ihnen bewusst ist. Im 2004 entstandenen Film Der Kaufmann von Venedig nach William Shakespeare sang der Countertenor so gefühlvolle und zarte Melodien wie How sweet the moonlight. Scholls Stimme und Interpretationsfähigkeit gehen direkt ins Herz. So lässt sich sicherlich erklären, dass auch am 25. August 2017 wieder Groupies und Nochnicht-Groupies aus der ganzen Republik ins Kloster Eberbach pilgerten. Die Autokennzeichen verrieten es. War der Auftritt für den geborenen Eltvillageois Scholl ein Heimspiel, war es für die aus Ravenna stammende Accademia ein Zwischenstopp auf ihrer Europatour 2017. Ob Alessandro Tampieri geahnt hatte, dass er einen überragenden Applaus für sein virtuos gefühlvolles Violonensolo bekommt?

Doch zunächst hatte am Spätnachmittag die Natur ihren Auftritt. Graue Wolken hatten sich zu einem Unwetter zusammengeballt. Regen und bizarre Blitze entluden sich über dem Rheingau und seinen Weinbergen. Dann pünktlich zum Konzertbeginn beruhigte sich die Natur, so als ob sie der Musik ebenfalls lauschen wollte. Und ein volles Kirchenschiff lauschte klaren zarten Melodien barocker Marienverehrung. Im ersten Stück des Komponisten Nicolò Antonio Porpora zeigte sich Scholl beschwingt. Und der sonore Klang der Streicher hallte nach, als Scholl schon längst geendet hatte. Welch‘ ein Beginn. Der zu seiner Zeit musikalisch prägende Porpora hatte im 18. Jahrhundert den berühmten Kastraten Farinelli unterrichtet.

RMF 2017: Andreas Scholl, Countertenor / Accademia Bizantina / Alessandro Tampieri, Leitung in der Basilika von Kloster Eberbach (c) RMF / Ansgar Klostermann
RMF 2017: Andreas Scholl, Countertenor / Accademia Bizantina / Alessandro Tampieri, Leitung in der Basilika von Kloster Eberbach
(c) RMF / Ansgar Klostermann

Im zweiten Stück des Neapolitaners Angelo Ragazzi zeigte die Accademia ihr Können. Passend zur schlichten Architektur der Klosterkirche Eberbachs kontrapunktierten die tiefen dum – dumdidum – dum Klänge von Viola, Violoncello und Kontrabass zu den Höhen der Violinen. Das mit maximal 14 Musikern recht schlanke Orchester bestach durch klare Strukturen. Es erlaubte keinen Ton zu viel und bot klassischen Barock ohne fahrigen Firlefanz. Stimmungsvoll inszeniert verhallte das hum -hum- hum zum Ende des Stückes in der hohen Halle der Klosterkirche.

Des Opernkomponisten Pasquale Anfossis Salve Regina musste nun ein Weilchen warten. Die Regenmassen hatten das Kircheninnere mit einer hohen Luftfeuchtigkeit durchzogen. Den Schafsdarmsaiten der Barockinstrumente gefielen diese Umweltbedingungen so gar nicht. Aus den veränderten Druckbedingungen folge eine Änderung der Spannung, und diese würde wiederum eine Änderung der Stimmung nach sich ziehen. Während die Accademia ihre Instrumente nur mühevoll zum dritten Stück anstimmen konnte, überbrückte Scholl gewohnt souverän und charmant zugleich. Scholl erklärte, wie männliche Kastraten zu ihrer Rolle kamen, einfach weil es Frauen verboten war öffentlich zu singen. Oder wie der Venezianer Antonio Vivaldi den später anklingenden Höhepunkt des Abends Stabat Mater in einem Mädchenpensionat komponiert hatte.

Bevor die in Musik gemalten Peitschenhiebe Vivaldis erschallten, ertönten nach der Pause Auszüge aus einem weiteren neapolitanischen Oratorium. Die Musiker entführten die Zuhörer aus der spätsommerlich feuchtwarmen Klosterkirche in die Traumszene eines Freudentanzes auf einer Frühlingswiese – und nahmen als Hilfsmittel Leonardo Vincis (nicht da Vincis) Maria dolorata. So freudig kann Musik zum Thema einer leidenden Mutter Maria klingen. Nun ließ Andreas Scholl mit einem zweiten Stück Leonardo Vinci die Herzen erweichen: Im bedächtig sanften Schritt der zwei Celli sang der fast 50-jährige Scholl eine Arie zum Dahinschmelzen: Tutti son del materno mio seno.

Dann kam Vivaldi. Jeder kennt Vivaldi. Aber wenige Besucher dürften Alessandro Tampieri gekannt haben, und wie er Vivaldi spielt. Spätestens nach dem zweiten Allegro des Violinkonzertes in g-Moll (op. 8 Nr. 8) hatte sich der zeitgenössische Italiener im Rheingau einen Namen gemacht. Wie drückt man am besten den Wettstreit zwischen der Harmonie und der Erfindung aus (Il cimento dell’armonia e dell‘ inventione)? Tampieri spielte das finale Allegro virtuos und pianissimo-zart zugleich. Für sein Solo erhielt der Konzertmeister aus Ravenna den größten Beifall des Abends. Und dies noch vor dem eigentlichen Höhepunkt des Abends, Vivaldis Stabat Mater in f-Moll für Alt und Streicher.

Das insgesamt sehr langsame und in Moll getragene Stück sei für Scholl wie eine musikalische Kontemplation, die den ganzen Schmerz der leidenden Gottesmutter Maria erfühlen lasse, so erklärte Scholl gegen Mitte des Konzertes. Maria litt angesichts der Gekreuzigten lang andauernde Schmerzen (Moll), welche sich erst im Schlussakkord in Dur auflösen konnten. So endete ein besinnlicher Abend mit selten gehörten Marienkantaten und weniger beschwingten Strophen eine Mutter, die den Verlust ihres Sohnes realisiert.

Nein, das sollte es nicht gewesen sein. Scholl entschied sich für ein hoffnungsvolleres Ende des Abends. Als Zugabe schenkten die Musiker dem Publikum das Vater unser des zeitgenössischen Komponisten Arvo Pärt. Der Este hatte das Stück im Jahre 2005 komponiert und 2011 bei einer Zeremonie des Vatikans mit dem deutschen Papst Benedikt XVI. (Joseph Ratzinger) aufgeführt. Ratzingers Mutter und Schwester hießen beide Maria. Joseph hieß sein Vater.

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Kloster Eberbach Kreuzgang – an einem anderen Tag – © Ansgar Klostermann
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