Wiesbaden, Mainz | analogo.de – Die Grenzwerte für das sehr giftige Gas Stickstoffdioxid (NO2) werden in zwei Großstädten des Rhein-Main-Gebietes mit beständiger Regelmäßigkeit überschritten: Mainz und Wiesbaden. Für die rund 500.000 Einwohner der in einem Becken liegenden Industriestädte bedeutet diese Überschreitung gesundheitliche Beeinträchtigungen. Zählt man die unmittelbar umliegenden Kommunen dazu, sind von der Überschreitung mehr als 750.000 Menschen betroffen. Durch die Höhenzüge von Taunus, Hunsrück und Odenwald können die erzeugten Emissionen nicht ungehindert abziehen.
Weil die Stadtverwaltungen und Landesministerien die Schadstoffkonzentrationen seit über 20 Jahren regulativ nicht auf ein verträgliches Maß senken konnten, arbeitet die EU-Kommission derzeit an der Ausarbeitung von Strafzahlungen. Denn die hohe Gaskonzentration führt zu akuten und langfristigen Gesundheitsbelastungen. Kurzfristig leiden Betroffene an Kopfschmerzen, Schwindelgefühlen und einer Reizung der Atmungsorgane. Das Photooxidans NO2 produziert nebenbei ein anderes giftiges Gas, welches den Giftcocktail zusätzlich anreichert und Augenschäden verantwortet: Ozon am Boden.
Jean Krutmann, der Direktor des Leibniz-Instituts für Umweltmedizinische Forschung (IUF) zeigt in seiner neuesten Studie, dass Luftverschmutzung durch NO2-Gas und Feinstaub zu einem beschleunigten Alterungsprozess führt. Krutmann misst der Luftverschmutzung für die Hautbelastung sogar denselben Status zu, den man in den letzten 20 bis 30 Jahren der UV-Strahlung beigemessen hat. Denn sein Studienergebnis ist ein Alarmsignal: Seine Studienteilnehmer in Deutschland und China hatten bei nur 10 µg pro m³ mehr NO2 in der Luft 25% mehr Altersflecken (Pigmentflecken) auf den Wangen.
Fest steht: Trotz der gemeinsamen Umweltzone von Mainz und Wiesbaden wird der seit 2010 gültige Grenzwert von 40 Mikrogramm (µg) pro Kubikmeter (m³) Luft an städtischen Hotspots im Jahresmittel um rund 40% (Mainz) und 31% (Wiesbaden) überschritten. Nicht selten wird in Mainz auch der höherschwellige Grenzwert namens „1-Stundenmittelwert“ von 200 µg pro m³ überschritten. Am Wochenende des 07. August zeichnete eine von Menschen stark frequentierte Messstelle 248 µg auf. Was bedeuten also die verschiedenen Grenzwerte?
analogo.de listet hier die verschiedenen Grenzwerte auf und nimmt eine kurze Bewertung vor. Die aufgezeigten Grenzwerte kann man im KATA LOGO Luft von ANA LOGO nachlesen und sich die Datei kostenlos aus der Datenbank oder dem Link Atmosphäre runterladen:
Details der Immissions-Grenzwerte | Grenzwert in [μg/m³] | Erläuterung | Bewertung |
Stickstoffdioxid NO2 – Grenzwert als maximaler Mittelwert über 1 Jahr | 30 | Kritischer Wert zum Schutz der Vegetation. | Dieser Wert wird in Mainz und Wiesbaden regelmäßig überschritten, ist aber ein Jahresmittelwert. |
Stickstoffdioxid NO2 – Grenzwert als maximaler Mittelwert über 1 Jahr |
40 | EU-Grenzwert für Menschen. | Der Grenzwert wird in Mainz um 40% (56 μg/m³) und in Wiesbaden um 31% bei (51 μg/m³) überschritten. |
Stickstoffdioxid NO2 – Grenzwert (kurzfristig) als maximaler Mittelwert über 1 Stunde an einem Tag | 200 | Maximale Überschreitung des 1-Stunden-Grenzwertes pro Jahr: 18mal. Grenzwert als Definition zum Schutz der menschlichen Gesundheit. | Am 07.08.2016 wurde dieser Wert mit 248 um 24% deutlich überschritten. Laut Umweltministerium RLP war es die 5. Überschreitung im Jahr. |
Stickstoffdioxid NO2 – Alarmschwelle als maximaler Mittelwert über 1 Stunde | 400 | Messung an drei aufeinanderfolgenden Stunden. Auslösung des Warnsystems zum Schutz der menschlichen Gesundheit. | Dieser Wert wurde glücklicherweise noch nicht erreicht. |
Der Pressesprecher der Stadtverwaltung Mainz, Ralf Peterhanwahr bestätigte uns gegenüber die Überschreitung des Einstundenmittelwertes. Die Stadt verwechselt aber die Anzahl der erlaubten Überschreitungen pro Jahr. 18mal darf tatsächlich der an einem Tag gemessene maximale Einstundenmittelwert überschritten werden. Dies erfolgte bis zum 07. August 2016 in Mainz fünfmal. Peterhanwahr führt allerdings in einem Schreiben an analogo.de aus, auch den Mittelwert über 1 Jahr von 40 μg/m³ dürfe man 18mal überschreiten. Die Stadt scheint hier einem gänzlich falschen Pferd aufzusitzen. Tatsächlich darf der Jahresgrenzwert kein einziges Mal überschritten werden, deshalb nennt man ihn „mittlerer Jahresgrenzwert“. Die EU bemängelt genau diesen Fauxpas bei deutschen Städten.
Gleichzeitig schmettert die Stadt die im März erfolgten Messergebnisse von Greenpeace ab. Man kommentiere die Ergebnisse nicht. Der Pressesprecher von Greenpeace Deutschland, Philipp Kessler teilte uns derweil am Freitagabend mit, dass man die Märzergebnisse nochmals extrapoliert habe und die umgerechneten Ergebnisdaten bald veröffentlichen werde.
Wenn laut der Studie des Leibnizinstituts bei nur 10 µg pro m³ mehr NO2 in der Luft 25% mehr Altersflecken (Pigmentflecken) auf den Wangen vorkommen, und weitere Studien beweisen, dass eine hohe NO2-Konzentration zu Lungenkrebs führt, dann stellt sich die dringende Frage, welche Auswirkungen in Wiesbaden und Mainz zu erwarten sind. Denn in Mainz sind es gar 16 µg pro m³ und in Wiesbaden 12 µg pro m³. Die Maximalwerte tauchen zwar vor allem an den bekannten verkehrsreichen Hotspots wie Parcusstraße (Mainz), Ringkirche und Schiersteiner Straße (Wiesbaden) auf, aber genau diese Stadtteile werden von sehr vielen Menschen frequentiert. Zudem hat Greenpeace in Zusammenarbeit mit der Universität Heidelberg mit mobilen Messgeräten grenzwert-überschreitende Konzentrationen auch an anderen verkehrsreichen Hotspots wie der Mainzer Rheinstraße gemessen. Er reicht also nicht aus, immer nur die Messwerte der fest installierten Messstellen wie Parcusstraße und Ringkirche zu diskutieren.
analogo.de meint: Es müssen zwei Fragen gestellt werden: Wie ernst kann man Behörden nehmen, die einerseits mitunter lapidar behaupten, man dürfe den Grenzwert doch 18mal pro Jahr überschreiten, aber dann keine Antworten mehr haben, wenn der Grenzwert im Jahresmittel (also regelmäßig) überschritten wird und man nicht unbedeutende Strafzahlungen leistet? Und zweitens: Muss man Grenzwerte eigentlich immer ausreizen?
Lese in unserem nächsten Beitrag über die geplanten Maßnahmen der Städte Mainz und Wiesbaden zur Reduktion der NO2-Werte: Sommersmog in Mainz und Wiesbaden – Die Maßnahmen. Du findest den Link bei den gelben Postits unter diesem Beitrag.