US-Botschafter Emerson fordert ein aggressiveres Deutschland

Mainz | analogo.de – In seidene Kokons verpackt die Regierung von Rheinland-Pfalz ihre Kritik an der Überwachung deutscher Bürger(innen) durch den US-amerikanischen Geheimdienst NSA. Adressat der Kritik war am vergangenen Donnerstag der Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika in Berlin, John B. Emerson – zu Gast im Festsaal des Mainzer Landtages. Der Chef der Staatskanzlei Clemens Hoch forderte zwar, dass nachrichtendienstliche Maßnahmen Grenzen haben müssen, lobte aber den wirtschaftlichen Beitrag des US-Militärs für die strukturschwachen Gebiete seines Bundeslands. Ein Hauch von Weltpolitik schwebte durch den Festsaal des Mainzer Landtages.

In einer überraschend offenen und kämpferischen Rede parierte Emerson, indem er drei Eckpunkte einer idealen Zusammenarbeit zwischen den USA und Deutschland skizzierte: Der gemeinsame Kampf gegen Terrorismus und Extremismus, eine gemeinsame Linie im Ukrainekrieg und der Abschluss des Handelsabkommens TTIP sollen die weltpolitischen Herausforderungen bewältigen. In der militärischen Strategie der USA fiele Rheinland-Pfalz eine besondere Rolle zu, da in keinem anderen Bundesland so viel US-Militär stationiert sei. Aktuell leben 56.000 US-Bürger vor allem in der Gegend um Kaiserslautern. Das Militärhospital in Landstuhl als größte US-Militärklinik außerhalb der USA wird nun durch ein sogar noch größeres Militärhospital ersetzt, welches laut Staatskanzleichef Clemens Hoch fast eine Milliarde US-Dollar kosten wird. Der Kostenanteil Deutschlands liegt bei 130 Millionen Euro. Neben dem guten Pfälzer Wein, so ein charmierender Emerson, insgesamt der Grund für seine bereits sechs bis sieben Besuche in Rheinland-Pfalz.

Wie Rheinland-Pfalz am Krieg mit verdient

Die US-Streitkräfte seien in Rheinland-Pfalz ein wichtiger Arbeitgeber für 7.500 Zivilangestellte und von wirtschaftlicher Relevanz, so Staatssekretär Clemens Hoch. Es wurde deutlich, wie Rheinland-Pfalz am Krieg mit verdient. Vor ca. einem Jahr enthüllten deutsche Medien, wie die USA vom rheinland-pfälzischen Stützpunkt Ramstein gezielte Tötungen durch Drohneneinsätze vornehmen. Es waren die harten Themen, die die Zuhörer beschäftigten, unter ihnen der türkische Generalkonsul Arif Eser Torun (Konsulat Mainz), die stellvertretende Landtagsfraktionsvorsitzende von Bündnis90/Die Grünen Jutta Blatzheim-Roegler, der Vizepräsident des Landtags Bernhard Braun, US-Generalkonsul Kevin C. Milas (Generalkonsulat Frankfurt) und der Vorsitzender des  Landesverbands Rheinland-Pfalz Deutscher Sinti und Roma Jacques Delfeld.

Noch mehr als zuvor Clemens Hoch überging Emerson die brisanten Streitpunkte, die seit einigen Jahren zwischen den USA und Deutschland zunehmen. Steht Emerson in Berlin im andauernden Konflikt mit der Bundesregierung, sah er im Mainzer Landtag die Partnerschaft der USA zu Deutschland resistent gegen Spannungen wie die Überwachung deutscher Bürger(innen) durch den US-Geheimdienst NSA. Auch die Spannungen um den Vietnamkrieg oder die Stationierung der Marschflugkörper Cruise Missiles hätten der Beziehung schließlich nicht geschadet. Forderte der Chef der Staatskanzlei, dass nachrichtendienstliche Maßnahmen Grenzen haben müssen, so ist gemäß Emersons Worten zu erwarten, dass die NSA ihre Überwachungs-Aktivitäten gar weiter ausbaut.

TTIP: Merkel initiierte geheime Schiedsgerichte

Zur Kooperation durch TTIP geriet Emerson in Fahrt – ist doch Handel sein Metier. Seit 2010 berät er Präsident Obama in dessen Beratungskomitee für Handelspolitik. In Deutschland habe man es mit einer angst-basierten Kampagne zu tun, die am Beispiel des sogenannten „Chlorhühnchens“ deutlich würde. Hoch unterstrich dagegen, dass TTIP weder Umweltstandards noch Arbeitnehmerrechte gefährden dürfe und die Qualität im Abschluss des Handelsabkommens mehr zähle als ein schneller Abschluss. Schließlich seien rechtstaatliche Anforderungen zu gewährleisten, die Emerson aber gewährt sehen wollte. Immerhin seien die US-Standards die restriktivsten weltweit und konterte: “Wachstum durch TTIP“ müsse das strategische Kooperationsziel zwischen der USA und Deutschland heißen. Emerson vermittelte die klassische amerikanische Botschaft, wenn er Realitäten des Freihandels sagte und The business of America is business meinte.

Doch dann überraschte der Botschafter mit deutschen Wurzeln: Der Hauptkritikpunkt von TTIP – die geheimen Schiedsgerichtsverfahren (ISDS) – sollen „auf Initiative der deutschen Bundesregierung“ eingeführt werden. Hintergrund wäre, dass ausgerechnet Deutschland nach Ende des 2. Weltkrieg von lukrativen internationalen Aufträgen ausgeschlossen war. An dieser Stelle hatte man den Eindruck, dass Emerson meinte, was er sagte. Es sei Angela Merkel gewesen, die 2007 während ihrer EU-Ratspräsidentschaft die Initiative zu TTIP übernahm. Doch seit dem offiziellen Verhandlungsbeginn im Juni 2013 sei die Debatte von zahlreichen Mythen und verbreiteten Missverständnissen begleitet. Nur benennen konnte Emerson diese Mythen nicht. Schuldig blieb er allenfalls die Antwort, warum die USA Gegnern von TTIP wie der campact-Mitarbeiterin Maritta Strasser systematisch die Einreise in die USA verweigern. TTIP hat für die USA die allerhöchste Bedeutung, und Emerson gab offen zu, wie er mit seinen fünf Generalkonsuln und allen diplomatischen Mitteln auf einen Abschluss von TTIP hinwirke. Es brauche beiderseitiges Vertrauen – in einer Welt voller Sekten („sectarian world“), in der jeder mit jedem Kontakt haben könne.

Noch mehr Überwachung durch Geheimdienste

Doch Emerson bewegte sich nicht nur im wirtschaftlichen Kontext. Merkels Ukrainepolitik lobend, setzte er an zu einer leidenschaftlichen Rede für einen gemeinsamen Kampf gegen Extremismus und Terrorismus einerseits und für die demokratischen Rechte der Ukraine andererseits. Um Extremismus und Terrorismus felsenfest („unwavering“) entgegenzutreten, brauche es noch mehr nachrichtendienstliche Mittel. Zeitgleich müsse man das fundamentale Problem von Extremismus und Terrorismus angehen, dessen Quelle nicht die Armut sei. Von der Welt abgewandte (Red.: arabische und afrikanische) Jugendliche würden vielmehr im Gefühl von Ausweglosigkeit Gruppen wie ISIS folgen, die ihre Religion benutzen um ihre Gräueltaten zu rechtfertigen. Das Gesundheitssystem vieler afrikanischer Staaten drohe zusammenzubrechen. Die deutsche Öffentlichkeit müsse nun lernen, dass die USA von Deutschland im gemeinsamen Kampf eine aggressivere und selbstbewusstere Rolle („more assertive role“) erwarte. Dies gelte auch für die russischen Einfälle („incursions“) in die Ukraine. Die jetzige Bundesregierung teile zwar die Auffassung, dass Grenzverschiebungen nicht hinzunehmen sind, müsse aber ihren Sinn für Verbindlichkeit („sense of commitment“) wiederfinden. Eine große Herausforderung seien zudem die russischen Fehlinformations-Kampagnen.

Im anschließenden Diskussionsteil hinterfragte MdL Rahim Schmidt (Bündnis90/Die Grünen) kritisch die Nahostpolitik der USA mitsamt ihrem Überfall auf den Irak und ihrem Säen von Hass. Emerson antwortete, das wesentliche Iranthema sei nicht die von Schmidt erwähnten Menschenrechte, sondern die Atombombe … und schluckte beim Wort „Vertrauen“, welches sich erst aufbauen müsse („build up trust over time“).

Seidene Kritik

Die soften Themen des zweistündigen Diskussionsabends waren Kooperationen zu den Themenblöcken Rolle von Familie und Religion, Migration, Immigration und Maßnahmen gegen den Klimawandel. Clemens Hoch betonte die Zusammenarbeit der Universität Koblenz-Landau mit neun US-Instituten, v. a. in der Lehrerausbildung. Die Vorsitzende des Mitveranstalters Atlantische Akademie Heike Raab ergänzte, dass man voneinander lernen wolle – ganz gemäß dem Motto der 9. Transatlantischen Konferenz, zu der eine Delegation aus dem rheinland-pfälzischen Partnerland South Carolina zu einem knapp einwöchigen Aufenthalt in Rheinland-Pfalz zu Gast gewesen war. Zum Ende der Veranstaltung verpackten sanfte Jazztöne des Polizeiorchesters Rheinland-Pfalz die harten realpolitischen Botschaften des Abends in einen Kokon von Satin Doll. Die rot-grüne Regierung des Landes hatte Kritik geübt, ohne den Glanz und die Festigkeit der Beziehung zu den USA in Frage stellen zu wollen.

Ja, es ist dieser Friedensnobelpreisträger und US-Präsident Barack Obama, der seinem Botschafter Emerson die Botschaft vermitteln lässt, dass Deutschland in Kriegen aggressiver auftreten soll. Bildrechte: User 271277 auf Pixabay 356133_1920