Paul McCreesh gibt Sir Jeffrey Tate mit Elgars Dream of Gerontius die letzte Ehre – Ausklang des Rheingau Musik Festivals

Kloster Eberbach | analogo.de – Zum Abschluss des 30. Rheingau Musik Festival Sommers bot die Festivalleitung einen wahrlich englisch-deutschen Abend. Hunderte begeisterte Zuhörer verfolgten ein viel zu selten aufgeführtes Meisterwerk des britischen Komponisten Edward Elgar. analogo.de verfolgte das Konzert und berichtet vom Ereignis.

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Im „Traum von Gerontius“ (The Dream of Gerontius) malte der britische Tondichter Klänge einer träumerischen Weltenwandlung vom Sterbenden zum Toten, der das Jenseits erforscht. Die seelischen Prozesse des Träumers wurden am Konzertabend in mehrfacher Hinsicht lebendigst dargestellt. Dazu brillierten neben den Solisten der 100-köpfige Chor des aus London angereisten Philharmonia Chorus und das 70-köpfige Sinfonieorchester der Hamburger Symphoniker unter Leitung von Paul McCreesh.

Der englisch-deutsche Charakter des Abends spiegelte sich unter anderem in der Besetzung wider: Aus England stammten nicht nur Komponist, Chor und Dirigent, sondern auch die Mezzosopranistin Kathryn Rudge. Die deutschen Elemente waren an diesem Abend neben Orchester und dem Bariton Markus Eiche einige weitere Verbindungen zwischen England und Deutschland, die wir am Ende des Beitrags beschreiben.

Das großzügige Kirchenschiff der Klosterkirche Eberbach bot den physikalischen Raum, den das klangvoll-romantische Meisterwerk benötigte. Der Londoner Philharmonia Chorus mag das noch größere Volumen der Londoner Royal Albert Hall vermisst haben, aber selbst Vertreter der Hamburger Symphoniker waren nach der Aufführung von Wirkung und Klang beeindruckt.

RMF 2017: Abschlusskonzert - Edward Elgar: „The Dream of Gerontius“ in der Basilika von Kloster Eberbach Kathryn Rudge Mezzosopran Brenden Gunnell Tenor Markus Eiche Bariton Philharmonia Chorus Symphoniker Hamburg Paul McCreesh Leitung © RMF /Ansgar Klostermann
RMF 2017: Abschlusskonzert – Edward Elgar: „The Dream of Gerontius“ in der Basilika von Kloster Eberbach, Kathryn Rudge Mezzosopran, Brenden Gunnell Tenor, Markus Eiche Bariton, Philharmonia Chorus, Symphoniker Hamburg, Paul McCreesh Leitung, © RMF /Ansgar Klostermann

Der erste Teil des Oratoriums erzeugte ein Gefühl auf Meereswogen zu gleiten, angetrieben vom sanften bis stürmischen Wind aus Stimmen und klangvollen Tönen. Der zweite Teil dagegen erinnerte mehr an die friedlichen grünen Wiesen Englands, bald darauf an heranrollende Gewitter, die sich mit Regen und Wind auf der Erde entladen um dann wieder zur friedlichen Natur zu werden.

Elgars Musik war die Vertonung eines Gedichtes der aufsteigenden Seele von der Erde in den Himmel und wider Erwarten wurde der Konzertabend ein Angedenken an den am 02. Juni 2017 plötzlich verstorbenen Dirigenten Sir Jeffrey Tate – genau drei Monate nach seinem Tod. Eigentlich hätte er an diesem Abend den Taktstock schwingen sollen.

Für die Musiker war es ein symbolischer Abschied von einem Menschen, mit dem sie viele Jahre grandiose Musik gemacht hatten. Das Publikum spürte die Hingabe aller Beteiligten. Der Dirigent Paul McCreesh gab alles. Es war eine Atmosphäre im Orchester, ganz so, als ob der alte Tate irgendwo da oben zuschauen würde und sich freute.

Lediglich drei Tage lang hatte das Orchester zusammen mit Paul McCreesh das anspruchsvolle Stück in Hamburg einstudieren können. „Wir waren besonders ergriffen, da wir das Stück ja mit Sir Jeffrey Tate erarbeitet hatten“, sagte eine Musikerin des Orchesters nach dem Konzert zu analogo.de. Ein anderer Musiker offenbarte uns, diese Vorstellung sei für ihn noch gelungener gewesen als die alte Aufnahme von 2013 mit Jeffrey Tate. Höchtes Musikerlob für Paul McCreesh von den eigenen Leuten.

Nun wurde also im Gedenken nicht nur die Seele des inspirativen Engländers Tate verabschiedet, sondern der Protagonist Gerontius entschwand ebenfalls in ferne Welten. Der US-Amerikaner Brenden Gunnell verlieh den Visionen Gerontii eine kräftige und mitweilen süßlich zuversichtliche Tenorstimme. Im ersten Teil zog Gunnell das Mi_se_re_re (Erbarme Dich) in rezitativer Schönheit in die Länge, dass man meinte Gunnell verleiht dem Flehen so wundervolle Tiefe wie Górecki es in seinem gesamten Hauptwerk Miserere tat.

Zwei Konzertharfen untermalten die orchestrale Reise in elegische Traumwelten, die im ersten Teil an Auszüge der vertonten Mythenwelt von Herr der Ringe erinnern konnten. Im zweiten Teil des Traumes brillierten die Harfen, indem sie vom Monolog des Todesengels (Bariton) zur gedemütigten Seele von Gerontius überleiteten: Gerontius tritt vor seinen Richter, während die Stimmen auf der Erde (Chor) um Erbarmung bitten. Es war der schönste Ausschnitt des gesamten Abends.

Im anschließenden Gespräch mit der blonden Harfinistin erfahren wir, dass die edlen Instrumente von der Familie Horngacher vom Starnberger See liebevoll erschaffen wurden. Der Mercedes unter den Konzertharfen ist bei rund 95 % der Top-Orchester einfach nicht wegzudenken.

Tatsächlich war es ein Konzertabend, der – einem Feuerwerk gleich – einen musikalischen Höhepunkt nach dem anderen bot. Für emotionale Menschen kann Edward Elgars „The Dream of Gerontius“ schon mal zu einer seelischen Achterbahn führen. Der Philharmonia Chorus zeigte, welch‘ brillanter Vertreter großer englischer Chorwerke er ist. Egal ob er zu Beginn als Freundesschar des Gerontius an den Monolog ihres Freundes nahtlos und pianississimo anschmiegte, ob er im Stile von Gustav Mahlers Klangkompositionen wellenförmige Spannungsbilder aus forte–piano–forte–piano zeichnete, ob er als Engelschor mit dem Engel (Mezzosopran) klanggleich resonierte oder als ebensolcher mit seinem fortississimo-Gotteslob schlichtweg für offene Münder im Auditorium sorgte: Der Rheingau bedankte sich beim Philharmonia Chorus mit Bravorufen und dem größten Applaus des Abends.

Dann sagte der Engel: „Ja, einmal darfst du ihn schauen.“ Wie wunderbar gespielt vom Cello, welches die Mezzosopranistin Kathryn Rudge tongleich begleitete. Die beiden entkräftigten durch ihre zarte Harmonie ihre Vorgänger des Dämonenchors, der sich just mit Unterstützung des Xylophons über Gerontius lustig gemacht hatte: „Ein kühner abhängiger Geist, ein freier Wille, so sagt man, ist dort oben nicht willkommen.“

Ja, die Dämonen lachten Ha! Ha! und in ihrer Verhöhnung des Niedriggeborenen zeigte Dirigent McCreesh eine resonierende Körperspannung zum Bersten. Das kraftvolle ta.ta.tatta der Dämonen konnte nur durch die mächtigen Pauken gebrochen werden. Und als später der Engel (Mezzosopran) seinen Lobgesang bis ins fortissimo streckt, paraphrasiert das Orchester den Engel mit einem an Hitchcocks Film Psycho erinnernden Leitmotiv, dem zuckenden Quietschen der Messerattacke. OK, spätestens hier sah Gerontius (Tenor), dass er vom Leben loslassen muss und darf. Gefühlskontraste beim Abschlusskonzert des Rheingau Musik Festivals.

RMF 2017: Abschlusskonzert - Edward Elgar: „The Dream of Gerontius“ in der Basilika von Kloster Eberbach Kathryn Rudge Mezzosopran Brenden Gunnell Tenor Markus Eiche Bariton Philharmonia Chorus Symphoniker Hamburg Paul McCreesh Leitung © RMF /Ansgar Klostermann
RMF 2017: Abschlusskonzert – Edward Elgar: „The Dream of Gerontius“ in der Basilika von Kloster Eberbach, Brenden Gunnell (Tenor) und Paul McCreesh (Leitung) in Aktion, Kathryn Rudge Mezzosopran, Philharmonia Chorus, Symphoniker Hamburg © RMF /Ansgar Klostermann

Auch ohne Bühnendarstellung – wie beim Aufbruchkonzert am Abend zuvor – sah das Publikum ein musikalisches Meisterwerk, das Hoffnung machte. Und Freude auf die nächste Konzertsaison im nächsten Jahr.

Noch ein paar Zahlen und Fakten zu weiteren Verknüpfungen des Abends zwischen England und Deutschland 

Dirigent der Uraufführung im Jahre 1900 war der deutschsprachige Hans Richter.

Mit diesem Oratorium gelang Edward Elgar der Durchbruch zum Inbegriff des englischen Musikers seiner Zeit – aber erst nach geglückt dargebotenen Konzertaufführungen in Deutschland.

Edward Elgars Chromatik erinnert zuweilen an Richard Wagner.

Elgar komponierte 1914 zwei Stücke für Wohlfahrtszwecke als Antwort auf die Kriegsattacken Deutschlands auf Belgien und Polen. Die eingespielten Gelder wurden Opfern des deutschen Militärs in Belgien und Polen zur Verfügung gestellt.

Das erste Konzert des Philharmonia Chorus im Jahre 1957 war Beethovens neunte Sinfonie.

Sir Jeffrey Tate war seit 2010 mit dem deutschen Geomorphologen Klaus Kuhlemann verheiratet.

Edward Elgars neues Oratorium war zur Jahrhundertwende zugleich ein Signal für eine neue Epoche. Im Brexitverhandlungsjahr 2017 stehen die Briten und die EU (i. e. Deutschland) ebenfalls vor einer neuen Epoche.

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