Wie Journalisten erfahren ob sie überwacht werden

Mainz, Köln, Berlin | analogo.de – Als analogo.de im Herbst 2014 ankündigte, auf ihrer Webseite für Umwelt, Politik, Science & Mainz sei in Planung alle möglichen Informationen, die von Whistleblowern bekannt gemacht wurden zu publizieren, erfasste die eigene Statistik-Software am folgenden Tag einen massiven Besuch von russischen Internetseiten. Wiederum einen Tag später stellte das eigene Statistik-Tool einen massiven Besuch Berliner IP-Adressen fest, und zwar alle hintereinander geschaltet – ununterbrochen von anderen Besuchen aus der Bundesrepublik oder aus aller Welt. Diese Abfragen sahen so aus, als ob sie von einer Art Crawler geschaltet waren. Unüblich ist aber bei Crawlern, dass verschiedene IP-Adressen angezeigt werden. Die hintereinander geschalteten Besuche aus Berlin und Brandenburg geschehen mit unterschiedlichen IP-Adressen und seit der Erstabfrage regelmäßig einige Male pro Woche.

Nach Rücksprachen mit diversen Journalisten kam der Verdacht auf, dass analogo.de mit dem Suchbegriff „Whistleblower“ in den Fokus von überwachenden Geheimdiensten geraten sein könnte. Ein amtliches Mitglied des Deutschen Journalistenverbandes (DJV) mutmaßte gar konkrete Telefon-Abhöraktionen und gespeicherte Aktionen seitens staatlicher Organe. Dies alles wie gesagt – nach dem Besuch der russischen IP-Adressen und den folglichen Berliner Besuchen. Aufgrund der zeitlichen Verbindung der Whistleblower-Ankündigung und den einschlägigen Besuchen handelte es sich eindeutig um ein mono-kausales Ereignis. Auf Anraten des DJV fragten wir bei den deutschen Geheimdiensten und dem BKA nach, ob diese analogo.de bzw. den Herausgeber als Freien Journalisten und/oder als Privatperson überwachen. Um es vorweg zu nehmen: Das BKA bescheinigte, dass man nicht überwache und die Antwort des BND steht noch aus. Aber jetzt wird’s interessant.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) bescheinigte mit Datum vom 19.03.2015, dass wir uns an das Sekretariat der Kommission nach Artikel 10 GG -PD V- wenden müssen. Gesagt getan, und am 31. März kam die Antwort. Die G10-Kommission wolle uns eigentlich zurück ans BfV zurückverweisen, denn man denke ebenfalls, dass man „nicht zuständig“ sei. Die Kommission nach Artikel 10 GG sah dann aber ein, dass es hier problematisch wird und teilte mit, dass diese Bedrouille auf der nächsten Sitzung besprochen werde. Am 23.04.2015 erhielten wir den sagenhaften Bescheid der G-10- Kommission, handschriftlich unterschrieben vom Vorsitzenden Andreas Schmidt. Hier folgt die Argumentationskaskade der Bundestagskommission:

 

 1.  2.  3.  4.  5. Niemand darf erfahren, ob und warum überwacht wird. Charakter wie Geheimgerichte.
         
    Maßnahme zulässig Beschränkungsmaßnahme Keine Rechtsverletzung
         
             
             
Artikel 10 GG G10-Gesetz G10-Kommission        
             
Telekommunikationsfreiheit Bedeutet Einschränkung entscheidet über …     G10-Kommission fordert Bundesminister auf, Maßnahme sofort zu beenden.
        ja
        Rechtsverletzung
         
    Maßnahme nicht zulässig Beschränkungsmaßnahme      
             
             
      Gab es …? nein Alles OK  
        Keine Rechtsverletzung    

Fazit: Journalisten (und Bürgerinnen und Bürger) erfahren nicht, ob sie überwacht werden, sofern irgendeine Person der Geheimdienste meint, dass die Beschränkungsmaßnahme zulässig sei. In diesem Modus bedeutet dies das Ende der Pressefreiheit. Der einzig beruhigende Punkt ist, dass die Kommission ihre Aufgabe wahrzunehmen verspricht, die Überwachungen beim zuständigen Bundesminister einstellen zu lassen, sofern die Beschränkungsmaßnahme nicht zulässig war. Fakt ist aber somit: Offiziell hält sich der deutsche Staat die Option offen, jeden Journalisten und alle Bürgerinnen und Bürger heimlich zu überwachen.

Da analogo.de übrigens bislang nicht allzu kritisch über Heckler & Koch berichtet hat, dürfte sich zumindest die Anfrage beim Geheimdienst des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) erübrigen. Denn hier berichtete letzte Woche ZEIT Online über die Einflussnahme des Waffenproduzenten auf den MAD, gegen Journalisten und Whistleblower vorzugehen, die das eigene Kampfgewehr G36 kritisieren.

Dass das Bundesamt für Verfassungsschutz mit der NSA zusammenarbeitet, ist seit den Enthüllungen Edward Snowdens bekannt. So lautete eine TOP SECRET/SI/NOFORN-Meldung der NSA, dass die eigene Spionagesoftware XKEYSCORE dem Bundesamt zur Verfügung gestellt worden sei, um sie in die Lage zu versetzen die NSA mit Informationen zu beliefern. Dieselbe Meldung gab schließlich preis, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) das Bundesamt mit der technischen Expertise ausstatte. Am Beispiel der campact-Mitarbeiterin Maritta Strasser wurde später klar, wie die amerikanischen Behörden unliebsamen Journalisten die Einreise in ihr Land verweigern.

Am 04. Mai forderte der Deutsche Journalistenverband das Bundeskanzleramt auf, mögliche Überwachungen und Ausspähungen von Journalistinnen und Journalisten umgehend aufzuklären. „Wir sind in Sorge um die Sicherheit der elektronischen Kommunikation von Journalistinnen und Journalisten, so der DJV-Bundesvorsitzende Michael Konken in seinem Schreiben an den Chef des Bundeskanzleramts Peter Altmaier. Konken weiter: Mögliche Überwachungsmaßnahmen sind „als schwerwiegende Verletzung des Informantenschutzes und damit der Pressefreiheit“ zu bewerten.

Das ZDF-Video vom 26.05.2015 „Die Anstalt – M & James BND 0815“ zeigte, woher sich unsere Geheimdienste das Recht nehmen jedermann zu überwachen – ab Minute 16 bis Minute 20. Update: Das Video ist mit den brisanten Abschnitten ab Minute 16 ist mittlerweile nicht mehr einfach auffindbar.

Schließlich: Kein Gesetz der Welt kann die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte durch die UNO im Jahre 1948 durch Sondergesetze für nichtig erklären. Was unsere Bundesregierung hier versucht, kommt einer Rechtsauffassung gleich, die schlimmer als diejenige der Scharia ist. Denn diese hat zumindest noch den Anspruch auf der Moral zu basieren. Die UNO formulierte in Art. 12: „No one shall be subjected to arbitrary interference with his privacy, family, home, or correspondence.“ Auf deutsch: „Niemand darf willkürlichen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, seine Wohnung und seinen Schriftverkehr oder Beeinträchtigungen seiner Ehre und seines Rufes ausgesetzt werden. Jeder hat Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen solche Eingriffe oder Beeinträchtigungen.“

Dass das Bundesamt für Verfassungsschutz mit der NSA zusammenarbeitet, ist seit den Enthüllungen Edward Snowdens bekannt. Bildrechte: User OpenClipart-Vectors auf Pixabay 1295880_1280
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